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Eine Flüchtlingsfamilie überquert die österreichisch-deutsche Grenze bei Braunau. Derlei Zielstrebigkeit halten die Asylbehörden zunehmend wieder die EU-weiten Dublin-Regeln entgegen.

foto: apa / barbara gindl

Wien – Für die meisten Flüchtlinge in Europa ist ein Dublin-Verfahren, um sie in jenen Staat zurückzuschicken, in dem sie erstmals auf EU-Boden registriert wurden, ein Schreckensszenario. Sie wollen ihr Zielland, das sie meist nur unter großen Mühen erreichen konnten und in dem sie vielfach Verwandte oder Freunde haben, nicht mit einem anderen Unionsstaat eintauschen.

Insofern war ein Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 3. November 2015 für einen 25-jährigen Syrer (Name der Redaktion bekannt), der vor kurzem über Kroatien und Slowenien nach Österreich kam und hier einen Asylantrag stellte, höchst verunsichernd. Es sei beabsichtigt, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil "eine Zuständigkeit des Dublinstaates Kroatien, Slowenien angenommen wird" (sic!), heißt es in der zugestellten "Verfahrensanordnung".

Vereinzelt nach Slowenien

Daher sei der junge Syrer verpflichtet, binnen einer Woche ein Rückkehrberatungsgespräch zu führen: "Im Zusammenhang mit der aktuellen Fluchtbewegung ist dies das erste Dublin-Konsultationsverfahren mit den Balkan-Nachbarstaaten, von dem ich Kenntnis bekam", sagt Herbert Langthaler vom NGO-Zusammenschluss Asylkoordination.

Tatsächlich sei man mit Rückschiebeversuchen von Flüchtlingen in die beiden Balkan-Transitstaaten erst am Beginn, erläutert der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck. Zwar sei statistisch noch nicht ausgewertet, wie viele Rückschiebungen nach Slowenien und Kroatien es seit dem dortigen Einsetzen der massiven Fluchtbewegung gegeben hat. Davor, von Jänner bis September, seien es jedoch weniger als zehn gewesen. Insgesamt fanden in diesem Zeitraum rund 1.500 Dublin-Rückschiebungen aus Österreich statt.

Frage der Fristen

Nun ist mit dem Start eines Dublin-Rückschiebeverfahrens eine tatsächliche Rückschiebung noch keineswegs ausgemachte Sache. Erst muss der Aufnahmestaat, der laut EU-Fingerprintdatei Eurodac oder sonst woher Hinweise hat, dass ein Flüchtling in einem anderen Unionsstaat zuerst amtskundig wurde, binnen drei Monaten bei diesem Staat anfragen, ob Aufnahmebereitschaft besteht. Besteht sie, so müssen die Behörden des rückschiebewilligen Landes den Flüchtling binnen sechs Monaten (im Normalfall) rücktransportieren.

Lässt das betreffende Land eine dieser beiden Fristen ungenutzt verstreichen, muss es den Flüchtling behalten und ist dann verpflichtet, das betreffende Asylverfahren zu führen. "Offenbar wollen sich die österreichischen Asylbehörden vor solchen Fristversäumnissen unbedingt absichern. Eine Reihe Dublin-Konsultationsverfahrens-Einleitungen dürfte sozusagen vorbeugend geschehen", meint Christoph Steinwendtner vom Diakonie-Flüchtlingsdienst.

Viele Ungarn-Verfahren

Das, so Steinwendtner, gelte auch für Verfahrenseinleitungen nach Ungarn, sie seien in Österreich "recht zahlreich" und sorgten unter Flüchtlingen für massive Befürchtungen, bestätigt Asylkoordination-Mitarbeiter Langthaler. "Das soll andere wohl abschrecken", meint er.

Tatsächlich sind Rücktransporte nach Ungarn derzeit gleich aus mehreren Gründen unmöglich: Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR warnt vor Kettenabschiebungen nach Serbien. Im österreichischen Innenministerium leistet man dem Folge und schiebt niemanden zurück.

Budapest verweigert

Und, last, not least: Ungarn selbst lehnt die Flüchtlingsaufnahme laut Dublin-Verordnung kategorisch ab. "Das Dublin-System ist tot", meinte Außenminister Péter Szijjártó, nachdem Deutschland das vorübergehende Aussetzen von Dublin für Syrer am Dienstag relativiert hatte. Steinwendtner ist sich diesbezüglich nicht sicher: "In Österreich scheinen die Asylbehörden stattdessen zu meinen: 'Wer weiß, wie sich die Lage weiterentwickelt.'" (Irene Brickner, 12.11.2015)