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Religiöses Ritual nach schamanischem Ritus, unterstützt von Ayahuasca, fotografiert in Brasilien: erst brauen, ...

Foto: AFP / Eitan Abramovich

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... dann trinken, sich übergeben und ...

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... am Ende auf den Rausch und die Erkenntnis warten.

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Du darfst aber nicht weggehen!", Hans wirkt ernst und konzentriert. In einer Wiener Altbauwohnung bereiten sich fünf Männer und drei Frauen auf ein spirituelles Ritual vor, das mindestens fünf Stunden dauern wird. Und wie Hans uns einschärft, müssen alle bis zum Schluss bleiben. Zunächst wechseln Singen (auf Portugiesisch) und Schweigen einander ab. Die Lieder handeln von der Jungfrau Maria und Jesus Christus. Die Teilnehmer, Österreicher und Deutsche, sind um die 40 und leger gekleidet. Der Höhepunkt der Zeremonie wird daraus bestehen, Ayahuasca zu trinken.

Ayahuasca hat eigentlich nichts mit Jesus und Maria zu tun. Das Getränk besteht aus Lianen (Banisteriopsis caapi) und dimethyltryptaminhaltigen Pflanzen, kurz: DMT, das auch in LSD enthalten ist und Visionen hervorruft. Es wird von Indigenen in Lateinamerika seit vielen Jahrhunderten für schamanische Rituale verwendet.

Der Schriftsteller William S. Burroughs, Ikone der Beat-Generation, der auch das Heroin als Stoff in die Literatur brachte, hat schon in den 1950er-Jahren über die Bitterliane geschrieben. Celebritys aus Film und Musikbranche, etwa Lindsay Lohan oder Sting, bekennen sich dazu, das Gebräu getrunken zu haben.

Rituelle Reinigung

1918 ist Ayahuasca angeblich zum ersten Mal in Brasilien von einem Nichtindianer, Mestre Irineu, einem Gummizapfer, konsumiert worden. Während seiner Experimente mit der Pflanze hatte er die Eingebung zur Gründung der Mission Santo Daime, einer stark christlich geprägten Sekte. Dadurch bekam das uralte indianische Ritual ein neues Gesicht – eine eigenartige Mischung aus christlichen Zeremonien und dem Konsum einer psychedelischen Substanz. Santo Daime und seine Varianten haben sich inzwischen in Brasilien und auf der ganzen Welt verbreitet.

Die meisten übergeben sich beim Trinken des Tees mehrmals. Die Erklärung dafür ist, dass man sich erst "reinigen" müsse, damit der Trip beginnen kann. Das kann allerdings auch zum Horrortrip ausarten. Muss aber nicht. In den meisten Köpfen kreisen angenehme Gedanken, viele Konsumenten berichten, sie verspürten Dankbarkeit und Zufriedenheit.

Religion legalisiert Ayahuasca

"Man darf das nicht Droge nennen. Ayahuasca ist ein Entheogen, ein Psychedelikum", erklärt Philippe Bandeira de Melo. Er sitzt in seinem Haus und Tempel in Santa Tereza, Rio de Janeiro. Melo ist Psychologe, hat einen Doktortitel in Religionswissenschaft und zudem die Arca da montanha azul gegründet, wo nicht nur Jesus und Maria, sondern auch Krishna, Buddha und afrikanische Geister verehrt werden. Er verteidigt eine Definitionstrennung zwischen sakralen Pflanzen und Drogen.

Brasilien hat dieses Prinzip schon lange akzeptiert. Ayahuasca ist legal, wenn das Getränk im Rahmen eines religiösen Rituals konsumiert wird. Auch Österreich sieht das so. Hier wird etwa bei "Spirit & Vision", einer "naturspirituellen Interessengemeinschaft", das Ritual nach altem Vorbild der Amazonas-Schamanen vollzogen. In Deutschland fällt das Getränk unter das Betäubungsmittelgesetz, weil DMT enthalten ist – ein ritueller Einsatz ist somit verboten.

Esoterik oder Medizin?

Trotz religiös-esoterischer Umwehung der Pflanze versuchen einige Forscher, das Phänomen nach westlichen wissenschaftlichen Methoden zu erforschen – etwa Benjamin De Loenen, Gründer des ICEERS (International Center for Ethnobotanical Education, Research & Service). Sein Institut integriert indianische Heilkunde mit konventionellen westlichen Therapiemethoden. De Loenen hat mit dem Tee gute Ergebnisse bei Trauerbehandlung erzielt: "Ayahuasca hilft Menschen, den Tod aus einer anderen Perspektive zu betrachten, egal ob als reale Erfahrung oder als Folge der Halluzinationen. Leuten gibt das die Möglichkeit, sich von den Sterbenden zu verabschieden."

Die religiöse Erschütterung vieler Menschen erklärt De Loenen so: Wenn jemand zum ersten Mal in seinem Leben eine tiefe Verbindung zur Natur und zu allen Menschen spüre, werde das oft als etwas Sakrales empfunden. De Loenen: "Nüchtern betrachtet kommt es auf die Zusammensetzung der Alkaloide in dem Getränk an.

Bessere Menschen

Wegen seiner positiven Wirkung gegen Ängste und manische Depressionen wird Ayahuasca seit einiger Zeit auch bei Strafgefangenen angewendet. Eine NGO in Rondônia, im Norden Brasiliens, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Lebensbedingungen von Häftlingen zu verbessern, bietet ausgesuchten Gefängnisinsassen die Möglichkeit, in Santo Daime Sitzungen mit Ayahuasca zu konsumieren. "Die Gefangenen treten spirituell in Kontakt mit ihren Opfern und können ihre Fehler einsehen, sie erkennen das Unrecht und auch den Schaden, den sie ihren Opfern und der Gesellschaft zugefügt haben", erklärt Rogério Araújo von der NGO Acuda. Die lokale Bevölkerung sei freilich skeptisch, berichtet er.

Auch traumatische Erfahrungen von Kriegsveteranen werden mit Ayahuasca behandelt. Die Gruppe Veterans for Entheogenic Therapy organisiert Reisen nach Peru für Amerikaner, die etwa im Irak als Soldaten stationiert waren und unter posttraumatischen Erlebnissen leiden. "Mit konventioneller Medizin wird das ganze Trauma unter den Teppich gekehrt", sagte der Leiter der Veterans Ryan LeCompte zu CNN, "mit Ayahuasca wird buchstäblich alles herausgebracht, um das eigene Haus sauber zu machen."

Wissenschafter der Johns Hopkins und der Alabama University haben 2015 in empirischen Langzeitstudien nachgewiesen, dass psychedelische Substanzen bei selbstmordgefährdeten Patienten positiv wirken. Dafür wurden in den USA 190.000 Erwachsenen von der National Survey on Drug Use and Health befragt und die Zusammenhänge von klassischem psychedelischem Drogengebrauch und psychischer Belastung und Suizidalität ausgewertet. Fazit: Klassische psychedelische Substanzen könnten bleibende Verbesserungen der geistigen Gesundheit bewirken.

Schwer zu verarbeiten

Karl Kociper, Leiter der Beratungsstelle checkit in Wien, weiß aber auch über die negativen Wirkungen der Liane zu berichten. "Bei vulnerablen Personen können durch die intensiven Wahrnehmungsveränderungen während des Rauschs auch psychische Erkrankungen wie Psychosen oder Schizophrenie ausgelöst werden." Denn: "Nach dem Rausch fällt es manchen Menschen schwer, das Erlebte zu verarbeiten und in den Alltag zu integrieren. In diesem Zusammenhang sind bleibende Veränderungen des Selbstbildes und eine Beeinträchtigung der Realitätswahrnehmung möglich."

Die Forscher der Johns Hopkins und der Alabama University streben dagegen eine Legalisierung dieser Substanzen an. Ihnen geht es darum, das Therapiepotenzial von Ayahuasca und Co wissenschaftlich weiterzuuntersuchen. (Livia Mata, 15.11.2015)