Ingela Brimberg als sorgenbeladene Senta.


Foto: Werner Kmetitsch

Wien – An sich eine tolle Erfindung – das Menschengehirn. Es hat nur einen Nachteil. Es vermag Fragen zu stellen, versagt aber seine endgültigen Dienste bei der Beantwortung selbiger, insofern sie um die wichtigen, also letzten Dinge kreisen. Seit Tausenden von Jahren geht das so. Für die Kunst als solche und ihr Interpretenumfeld ist dies allerdings ein Segen. In alle Ewigkeit wird sich das Karussell der Neudeutung im Sinne der Wahrheitssuche drehen.

Natürlich zeitigt diese Suche bei manchem Künstler mitunter auch überbordende Ergebnisse, führt regelrecht zur Invasion der Antworten. Es darf der Rezipient bei Olivier Pys Variante von Richard Wagners Fliegendem Holländer etwa in einem Schiff ein Theater erblicken oder umgekehrt in einem Theater ein Schiff mit einem Friedhof an Bord.

Der Regisseur und Festivalleiter von Avignon besteht auf Offenheit; eindeutig will und kann er das Werk (in dessen düsterer, erlösungsfreier Urfassung) nicht begreifen. Wirklichkeitsentwürfe sind bei ihm reichlich zugegen, Py lädt dabei zur freien Deutungsentnahme.

Tolles Licht

Immerhin erwachsen daraus beachtliche optische Reize: Zwar stellt sich mitunter durch – vom Bühnenhimmel herabbaumelnde – klapprige Skelette ulkiger Geisterbahnzauber ein. Jene Holzkonstruktion allerdings, die das Operngeschehen dominiert und durch sensiblen Lichteinsatz (Bertrand Killy) und Drehbühne von einem Trichter zu einem Schiffsbug oder zu einem Raum voller Kreuze mutiert, sorgt für reizvolle Bildmetamorphosen.

Was immer das alles bedeuten mag, wer immer diese Senta hier auch sein soll – eine Künstlerin, die an existenzieller Enge leidet, eine Träumerin oder eine im Holländer-Wahn Gefangene -, die vieldeutigen Bilder (Bühnenbild: Pierre-André Weitz) tragen den pausenfreien Abend. Sie beherbergen dann allerdings doch recht statische Personenführung. Samuel Youn (als Holländer) hat zwar vokale Intensität, darstellerisch jedoch verlässt er sich allzu sehr auf Klischees. Dies muss auch für Lars Woldt (tolle vokale Präsenz als Donald) gelten.

Etwas weniger holzschnittartig zeichnet Ingela Brimberg die Figur der Senta (nach anfänglichen Problemen eindringliche dramatische Momente). Und auch Bernard Richter (als Georg) verbreitet Bühnenleben, wirkt vokal aber etwas überengagiert. Ziemlich schön die Stimme von Manuel Günther (als Steuermann); nicht ganz in Form, was saubere Intonation anbelangt, die Damen des Schönberg-Chors.

Schließlich: An diesem Abend der Todessehnsucht war Tänzer Pavel Strasil ein effektvoller, aber der Regie auch naiven Zauber verleihender Satan, dem nur der riesige Totenschädel die Show stahl, in dem es sich Senta ungemütlich machte. Dirigent Marc Minkowski und seine Musiciens du Louvre entwinden der Partitur auch zum Finale hin sich verstärkende delikate Dynamik. Eine interessante, schlanke Variante, Romantik zu erwecken. Wobei die Intonation der Blechabteilung immer für Überraschungen gut war. Applaus für Py, ein paar Buhs fürs Dirigat. (Ljubisa Tosic, 13.11.2015)