
Ägidius Zsifkovics beim Festgottesdienst zum 60. Jubiläum der Abtei Marienkron im Juni.
STANDARD: Die Bischofskonferenz hat beim Herbsttreffen den Beschluss für ein neues Referat "Flucht, Migration und Integration" gefasst – und Sie damit betraut. Es gibt einfachere Aufgaben, oder?
Zsifkovics: Ja, es ist mit Sicherheit eine große Herausforderung. Aber nachdem ich als Bischof von Eisenstadt durch die Ereignisse und den großen Ansturm beim Grenzübergang Nickelsdorf schon sehr tief in der Materie drin bin, war es naheliegend, dass man auf mich zurückgreift.
STANDARD: Was ist konkret geplant?
Zsifkovics: Vor allem geht es dar um, die kirchliche Arbeit in der Flüchtlingsbetreuung voranzutreiben und diese auf Ebene der Bischofskonferenz entsprechend zu koordinieren. In einem ersten Schritt werde ich Vertreter der Caritas, die Flüchtlingskoordinatoren der Diözesen und Vertreter eines Arbeitskreises in der Bischofskonferenz an einen Tisch bitten – um hinzuhören und zu sehen, wie die Arbeiten laufen, um dann konkrete neue Maßnahmen setzen zu können und um bei den öffentlichen Stellen, der Politik im Land und auf europäischer Ebene aktiv zu werden.
STANDARD: Plant die Kirche, mehr Druck auf die Politik auszuüben?
Zsifkovics: Die Aufgabe der Kirche ist es, die Dinge aufmerksam zu begleiten. Aber wir dürfen nicht nur passiver Zuschauer sein. Natürlich wollen wir auch, im guten Sinn des Wortes, jetzt für die Sache entsprechend Druck machen. Es ist jetzt Zeit, endlich die Dinge in die Hand zu nehmen und nicht ständig nur politische Kompetenzen hin und her zu schieben – in Österreich und in Brüssel.
STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass die Politik das Flüchtlingsproblem überhaupt im Griff hat?
Zsifkovics: Ich bin einerseits wirklich dankbar, dass man im ersten Ansturm der Flüchtlinge vieles unternommen hat, um die Situation in den Griff zu bekommen. Aber wenn ich andererseits immer wieder vonseiten der Politik höre, die Flüchtlingswelle sei "überraschend" gekommen, frag ich mich schon, ob das eine ehrliche Antwort ist. Über Monate und Jahre waren doch die Flüchtlingstragödien etwa auf Lampedusa oder an den EU-Außengrenzen bekannt. Da kann man jetzt nicht behaupten, man sei nicht vorbereitet gewesen. Tatsächlich hat man die Entwicklung verschlafen – und ist sehr viel später munter geworden. Und selbst jetzt hinkt die Politik in vielen Bereichen nach. Da wäre ein rascheres und effizienteres Vorgehen möglich.
STANDARD: Auch die Kirche sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, bei der Unterbringung von Flüchtlingen sehr zurückhaltend zu sein.
Zsifkovics: Die Kirche ist von der ersten Stunde an voll dabei gewesen – kirchliche Organisationen, Caritas, Pfarren, freiwillige Helfer. Aber natürlich hat jede Diö zese, jeder Orden noch Möglichkeiten nachzuziehen.
STANDARD: Anfang November wurden Sie in der EU- Bischofskommission ComECE zum Koordinator für Flüchtlingsfragen ernannt. Hört man in Brüssel auf Gott und seine irdischen Vertreter?
Zsifkovics: Wir werden gehört. Unsere Appelle sind Teil des Diskurses – was ein Fortschritt ist. Aber man muss dran bleiben, wir müssen die Gulaschsuppe in Brüssel warmhalten.
STANDARD: Wie könnte eine europäische Gesamtlösung aussehen?
Zsifkovics: Die politisch Verantwortlichen müssten sich viel stärker als bisher für ein Ende der Kriege im Nahen Osten engagieren. Und die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen muss endlich auf einem EU-weiten gut koordinierten Zusammenspiel fußen. Das "Durchwinken" muss ein Ende haben. Und es braucht mehr solidarisches Handeln. Es kann nicht sein, dass einige Länder alles machen müssen, und die anderen tun nichts. Da braucht es auch Konsequenzen für säumige Länder. (Markus Rohrhofer, 13.11.2015)