Die Pariser Konzertbühne Bataclan im neunten Pariser Arrondissement am Boulevard Voltaire am Tag nach den Attentaten.

Es gibt viele Bilder von den Anschlägen in Paris, aber bis Sonntag gab es keines aus dem Inneren des Bataclan, wo der Hauptangriff stattfand, wo die meisten Opfer – mindestens 89 – zu beklagen waren. Kein Wunder: Wer das Handy einstellte, wurde erschossen. Sofort und eiskalt. "Glaçant" (eiskalt) ist das Wort, das in den Augenzeugenberichten immer wiederkehrt. Nur langsam finden die Überlebenden Worte, um die Horrorszenen zu beschreiben.

Dabei hätte die Stimmung im Konzertsaal anfangs nicht besser sein können. Nach der Tiroler Vorband White Miles gab die US-Band Eagles of Death Metal um 21.40 Uhr gerade ihren Song Kiss the Devil zum Besten, als es draußen krachte. "Wir dachten zuerst, es seien Knallkörper", meinte ein Besucher. Dann sah es hinten im Saal nach Funken aus. Rasch wurde klar, dass es sich um Mündungsfeuer handelte. Drei Männer mit Gewehren schossen den Zuschauern in den Rücken und stürmten weiter, in die Menge schießend. Das Trio war unvermummt, mit kurzen Bärten. Einer befahl den über tausend Zuschauern, sich auf den Boden zu legen. In akzentfreiem Französisch erklärte er: "Ihr habt in Syrien unsere Brüder getötet, jetzt sind wir hier." Wie ein Konzertbesucher im Gespräch mit Pariser Medien schilderte: "Sie sagten: Wenn ihr euch bewegt, töten wir euch. Sie erschossen die auf dem Boden liegenden Leute trotzdem."

Methodisches Töten

In einer zweiten Phase drehten sie die reglos Liegenden um, um zu sehen, ob sie noch lebten. Grégozy, ein überlebender Familienvater, stellte sich tot. Die Täter traten ihn dreimal ins Bein, doch er bewegte sich nicht, obwohl er eine Knieprothese trägt und die Tritte kaum ertrug. "Ein viertes Mal hätte ich es nicht ausgehalten." Einen halben Meter neben ihm bewegte sich ein Mann auf dem Boden. "Er wurde in den Kopf geschossen." Ein junge Frau namens Laura wiederholt immer wieder: "Sie töteten, töteten, töteten. Ich war von Toten umgeben. Ich weiß nicht, wie ich überlebt habe."

Alle Leute sagen: Die Täter waren jung, und sie gingen mit großer Ruhe zur Sache, während sie Sprengstoffgürtel trugen. Die Ruhe der drei Terroristen und ihr eiskaltes Vorgehen – das kommt in fast allen Berichten vor. Julien, ein Radiojournalist: "Sie waren schwarz gekleidet. Einer hatte ein sehr jungenhaftes Gesicht, und er ging seelenruhig zur Sache. Er ging sehr methodisch zu Werke, tötete eiskalt einen nach dem anderen." Julien selbst kam unter zwei Besuchern zu liegen. Das rettete ihm wohl das Leben. Die Terroristen wechselten sehr geübt die Magazine, setzten das "Abschlachten" fort, wie ein Überlebender namens Benjamin berichtet.

Nach einem neuen Schuss sei ein Körper auf ihn gefallen. "Sein Blut ergoss sich auf mein Bein. Meinen Nachbarn, einen Mann von 50 Jahren, traf ein Schuss direkt ins Gesicht. Ich hörte die Kugeln und versuchte, auf den Boden zu schauen. Da war eine riesige Blutlache." Mit der Zeit gab es Momente der Stille. Einmal sahen zwei Attentäter im ersten Stockwerk nach. In einem unbeachteten Moment gelang es Julien mit anderen Konzertbesuchern, sich in ein Lokal neben der Bühne zu retten. Aber der kleine Raum hatte keinen Ausgang. Da rannte die Gruppe über die Bühne auf die andere Seite, zum Notausgang. Julien konnte noch eine junge Frau, die nach zwei Einschüssen viel Blut verloren hatte und das Bewusstsein zu verlieren drohte, schultern und mit ihr den Saal in eine Nebengasse verlassen.

Anti-Terror-Einsatz

Draußen waren die Anti-Terror-Einheiten vorgefahren. Aus dem Innern kannten sie den Inhalt eines Tweets einer Geisel, die twittern konnte: "Schwer verletzt. Es gibt Überlebende. Geben Sie den Befehl zum Sturm." Nach Mitternacht kletterten die ersten Polizisten über Leitern in die Fenster des Bataclan. Kurz darauf waren Explosionen zu hören: Zwei der Attentäter hatten sich in die Luft gesprengt, der dritte wurde offenbar getötet. Der Horror war vorbei.

Hunderte von Verletzten wurden auf den Straßen verarztet oder teilweise in Bussen abtransportiert, Leichen weggetragen. Zurück bleibt das Bataclan, einst ein Konzertsaal, nun weltweit bekannt als Ort jugendlicher, eiskalter und seelenloser Barbarei. (Stefan Brändle aus Paris, 16.11.2015)