Mistelbach – "Da hat sich schon etwas angesammelt", sagt Barbara Strass. "Etwas" ist gut, etwas, das sind 272 Länderspiele im Handball-Nationalteam. Die Wienerin ist Österreichs Rekordinternationale – mag sein, sie bleibt es für immer und ewig. Auf den Plätzen unmittelbar hinter ihr folgen ausschließlich ehemalige Kolleginnen, die ebenfalls schon aufgehört haben, Natascha Rusnatschenko (255), Iris Morhammer (237), Karin Prokop (229) und Stanka Bozovic (220). "Zu meiner Zeit", sagt Strass, die 41 Jahre alt ist, "zu meiner Zeit hat sich Österreich halt für jedes Großereignis qualifiziert. Da ist man flott auf viele Spiele gekommen."
Ihre Zeit, die ist in die Ära von Gunnar Prokop gefallen, in die große Hypo-Ära. Die Erfolge waren der Prokop'schen Einbürgerungspolitik geschuldet, vor allem die Erfolge des Vereins. Als Strass, die bei WAT Fünfhaus begonnen hatte, in der Südstadt eincheckte, hatte Hypo bereits drei der insgesamt acht Triumphe im Meistercup (ab 1994 Champions League) gefeiert. Mit Strass folgten die nächsten drei – unter dem schwedischen Trainer Arne Högdahl. Im Rückblick waren das "die coolsten Jahre" für Strass, schließlich habe Högdahl "auch ein bisserl Demokratie zugelassen".
Ansonsten führte Prokop bei Hypo ein strenges Regiment. "Er hat sehr viel aufgebaut", sagt Strass, "aber er hat leider auch sehr viel wieder zerstört." Wie viele Mitspielerinnen hat am Ende auch sie sich mit dem Hypo-Chef überworfen und die Südstadt eher im Unfrieden verlassen. Mitte der Neunziger war Strass klargeworden, dass sie mit dem Handball nicht aussorgen würde. Sie war "nicht die beste Verhandlerin", und es war auch nicht die Zeit, in der sich Häuser verdienen ließen.
Strass, die Krankenschwester werden wollte, begann mit der Ausbildung am Preyer'schen Kinderspital. Statt zweimal täglich konnte sie nur noch einmal täglich trainieren. "Das war mit dem Gunnar abgesprochen. Vielleicht dachte er, dass ich nicht durchhalten würde. Aber ich hab durchgehalten. Und dann war's ihm plötzlich doch nicht recht, und es gab Streit." Strass wechselte nach Stockerau, schloss die dreijährige Ausbildung ab. Bei Hypo wäre sich statt der Ausbildung ein vierter Champions-League-Sieg ausgegangen. "Und davon hätte ich jetzt genau gar nichts."
Der vorgezeichnete Weg
Handball war in der Familie Strass immer ganz oben gestanden, Barbaras Mutter Grete spielte noch auf dem Großfeld, Vater Johann spielte ebenfalls, später war er Trainer bei Margareten. Auch die vier Kinder verbrachten viele Abende und Wochenenden in der Halle, allein der ältere Bruder Martin kam dem Sport beizeiten abhanden. Die Schwestern Sylvia, Yvonne und Barbara, genannt Babsi, spielten allesamt bei Fünfhaus. Babsi besuchte die Unterstufe des handballaffinen Gymnasiums Astgasse im 14. Bezirk, wechselte dann ins Leistungsmodell Südstadt. Sie war die, die es aus dem Dreimäderlhaus am weitesten brachte, trotz ihrer relativ geringen Größe von 1,60 Metern. "Am Flügel musst du kein Prügel sein", sagt sie. Sie kam meistens über die linke Seite und oft in schnellen Gegenstößen zum Abschluss. Im Team brachte sie es auf 570 Tore. In der Bestenliste, die von Jasna Kolar-Merdan (1206) angeführt wird, liegt sie damit auf dem achten Rang.
Und doch ist es die Zeit im Nationalteam, sind es viele Turniere, an die sich Barbara Strass weniger gern erinnert. Sie hat als 16-Jährige debütiert, hat mit Österreich zweimal an Olympischen Spielen, an sieben Weltmeisterschaften und sechs Europameisterschaften teilgenommen. Herausgekommen ist einmal EM-Bronze (1996), einmal WM-Bronze (1999), herausgekommen sind zwei fünfte Plätze bei Olympia (1992, 2000). "Oft hätten wir viel mehr erreichen können, erreichen müssen", sagt Strass. "Aber es hat halt immer wieder Streit gegeben, wir waren selten eine echte Einheit." Es wurde verabsäumt, neben ihr und Morhammer noch andere Eigenbauspielerinnen einzubauen. "Und einem Nationalteam, in dem fast ausschließlich Eingebürgerte spielen, geht am Ende doch etwas ab."
Mag sein, sie hat manchmal ein wenig neidisch auf die skandinavischen Teams geblickt, die in entscheidenden Momenten mehr Zusammenhalt zeigten – und mehr gewannen. Nachdem Strass ihre Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen hatte, zog es sie selbst zunächst nach Dänemark, zum Spitzenklub Frederikshavn. "Dort ist Handball wirklich Nationalsport. Dort wirst du als Spielerin auf der Straße angesprochen." Umsummen gab es auch nicht zu verdienen, Vollprofis waren nur wenige, Strass arbeitete nebenbei als Pflegehelferin in einem Altersheim. Auch dort bekam sie die dänische Handballbegeisterung mit. "Wenn das Nationalteam gespielt hat, sind die Alten alle aus ihren Zimmern gekommen und haben sich vor dem Fernseher zusammengesetzt."
Nürnberg war die letzte Strass-Station, noch einmal feierte sie große Erfolge, zwei deutsche Meistertitel (2005, 2007), zwei Cupsiege (2004, 2005). 2007 beendete sie ihre Karriere, im letzten Jahr hatte sie auch schon in Wien gearbeitet. Von Montag bis Mittwoch OP-Schwester im SMZ Ost, von Donnerstag bis Sonntag Handballerin in Nürnberg. Ihr Mann Andreas, den sie 2003 auf einer Geburtstagsparty kennengelernt und 2010 geheiratet hat, hat weder mit Medizin noch mit Handball etwas zu tun. "Das ist ganz angenehm", sagt sie. Andreas ist Berufsschullehrer in Mistelbach, auch deshalb sind die Freibauers nach Siebenhirten gezogen, wo sie seit Jahren einen alten Bauernhof herrichten. "Das Herrichten hat nie ein Ende."
Barbara ist immer noch OP-Schwester und auf Teilzeitbasis (25 Stunden) im SMZ Ost tätig. Ihre Zeit braucht sie nicht mehr für Handball, obwohl sie dem Verband immer wieder und gerne als Assistenztrainerin der Juniorinnen zur Verfügung steht, sondern vor allem für ihre Kinder – Tochter Frida ist fünfeinhalb Jahre, die Zwillinge Emil und Elly sind vier Jahre alt. Sollte es die Kinder einmal zum Handball ziehen, wird ihnen die Frau Mama jedenfalls nichts in den Weg legen. Obwohl und weil sie weiß, was sich alles ansammeln kann. (Fritz Neumann, 16.11.2015)