Radikaler Denker: Willem Dafoe als "Pasolini".


Foto: Filmladen

Wien – "Wir sind alle in Gefahr." So soll er sein Interview betiteln, rät der Filmemacher dem Journalisten. Wer will, kann das eine dunkle Vorahnung nennen, denn Pier Paolo Pasolini, der große Autor und Regisseur, wurde am 2. November 1975, kurz nach dem Gespräch, am Lido di Ostia ermordet. Doch Pasolini meinte freilich etwas weit Umfassenderes mit seiner Aussage: den Zustand des modernen Menschen nämlich, der gleichgeschaltet durch Konsumismus gerade dabei ist, seiner Freiheit und Verankerung in der Kultur verlustig zu gehen. "Etwas zu haben, zu besitzen und zu zerstören", das sei das Letzte, das uns in diesem System noch verbindet.

US-Regisseur Abel Ferrara hat die Szene in seinem schlicht Pasolini benannten Film rekonstruiert. Filmemacher, Intellektueller, Poet und politischer Denker, die vielen Gesichter Pasolinis verschmelzen. Ferrara möchte seiner Vielseitigkeit gerecht werden und findet dafür eine überzeugende, frei schwebende Form.

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Die letzten Tage aus dem Leben Pasolinis geben den Rahmen vor, das Unfertige, Nicht-zu-Ende-Gebrachte, Unheilvolle dieses Abschnitts verleiht auch dem Film eine fragmentarische Qualität. Alltagsmomente, Gedankenarbeit und fiktive Szenen überlagern sich. Am Ende liegt ein regloser Körper im Staub, und die Callas singt die Arie Una voce poco fa.

König auf Suche

Willem Dafoe, Ferraras verlässlichster Partner, gibt dem Film, dem Filmemacher einen Körper. Trotz optischer Ähnlichkeit geht es um eine Form der Entsprechung, die genug Luft zum Original lässt. Man sieht ihn bei der Abnahme von Salò, o le 120 giornate di Sodoma (Die 120 Tage von Sodom), seinem letzten vollendeten, tabubrechenden Film. Die Arbeit am nächsten, Porno – Teo – Kolossal, hat schon begonnen, und Ferrara greift sie auf und nimmt sich sogar die Freiheit, einzelne Szenen daraus zu realisieren. Epifanio und Nunzio, ein neuzeitlicher Heiliger König und sein Diener, folgen einem Kometen durchs dekadente Italien. Sie hoffen, den Messias zu finden.

Ferrara hat Epifanio mit Giovanni "Ninetto" Davoli besetzt, dem Lockenkopf, der oft mit Pasolini zusammengearbeitet hat. Dennoch sind dies nicht die stärksten Szenen von Pasolini, ein wenig altbacken wirkt etwa jene, in der man eine Sexorgie in Sodom inklusive Feuerwerksorgasmen zu sehen bekommt. Ferrara wirkt der italienischen Gesellschaft an dieser Stelle zu fern, um sie anders als exotisch ins Bild zu fassen. Pasolinis Zusammendenken von Politik und Religion, etwas, was ihn in dieser Phase seines Lebens sehr beschäftigt hat, erschließt sich nicht schlüssig.

Doch handelt es sich nur um ein Element aus einem Fluss, der offenbleibt. Atmosphärischer, elektrifizierender sind jene Bilder des nächtlichen Rom, die dem Film seine eigentliche Persönlichkeit verleihen. Die Kamera von Stefano Falivene ist immer in Bewegung, umfasst Bauwerke im Vorbeifahren, bemerkt die taxierenden Blicke der Jugendlichen auf Pasolini, von denen er dann einen auf seine letzte Fahrt mitnimmt. Vielleicht trifft der Begriff Requiem den Film am allerbesten: allein wie sich die Kamera im Moment des Mordes von oben auf Pasolini richtet. Wieder ein zu betrauernder Sohn. (Dominik Kamalzadeh, 20.11.2015)