Eine rot-grüne Ikone: Maria Vassilakou steht nach wie vor für ein Regierungsexperiment, das in Österreich noch einzigartig ist.

Foto: Andy Urban

Maria Vassilakou war bitter enttäuscht. Das wollen jene beobachtet haben, die an der Landesversammlung der Wiener Grünen teilgenommen haben. Ihre Emotionen stellt Vassilakou nicht in Abrede – auch nicht eine gewisse Enttäuschung. Aber letztlich sei sie gerührt, positiv berührt gewesen, sagt sie: "Es sind die ehrlichsten 75 Prozent meines Lebens."

Während der Koalitionspakt mit der SPÖ von der grünen Basis mit 93,2 Prozent abgesegnet wurde, was ein recht überzeugendes Ergebnis ist, wenn man die Aufmüpfigkeit der Wiener Landespartei bedenkt, wurde Vassilakou als Stadträtin von den eigenen Leuten mit nur 75 Prozent Zustimmung bedacht. Das musste sie persönlich nehmen.

Das sei ein Ventil für den Frust gewesen, der sich aufgestaut hat, glaubt Vassilakou. Frust über das bescheidene Wahlergebnis und Frust über all das, was in den Verhandlungen mit der SPÖ nicht durchgesetzt werden konnte. Und ein Denkzettel für Fehler, die passiert sind, die "der Mary" passiert sind. Wenn dann 75 Prozent übrig bleiben, kann sie damit leben, sagt sie mit etwas Abstand.

Vassilakou, die bei den Grünen, insbesondere bei den Wiener Grünen lange Jahre nahezu madonnenhaft verehrt wurde, ist nicht mehr sakrosankt. Sie war – und ist – die Einzige im ganzen Land, die Rot-Grün realpolitisch vorlebt; eine Bedrohung für die einen, eine Verheißung für die anderen. Und jetzt ist sie angreifbar. Zwei Wahlergebnisse in Folge, die mau sind. Ein Koalitionsergebnis, das mehr ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen scheint als die Erwartungen der Partei.

Von der Abrechnung wurde auch Georg Prack, ihr Vertrauter, erfasst. Der bisherige Landessprecher der Grünen wurde abgewählt, die Basis entschied sich an seiner Stelle für Joachim Kovacs, der Vassilakou eher kritisch gegenüberstand. Kovacs gilt als "Parteirebell", aber ein solcher war auch Prack, als er 2012 in diese Funktion gewählt wurde. Der grüne Parteiapparat verdaut seine Funktionäre schnell und scheidet sie desillusioniert wieder aus.

Grüner Schein ...

Nach außen hin wird der Schein gewahrt. So darf Maria Vassilakou weiterhin als die grüne Vizebürgermeisterin auftreten. Ein Privileg, das ihr Bürgermeister Michael Häupl gewährt hat. Den Vizebürgermeister hat Vassilakou nicht aus eigener Kraft – oder der der Grünen – geschafft, sondern von Häupls Gnaden zugestanden bekommen. Das hat etwas mit dem Koalitionsfrieden zu tun, aber auch mit Psychologie. Nicht nur Kritiker der Grünen sind der Ansicht, dass Vassilakou Häupl damit etwas schuldig sei.

Es wird auch am Bürgermeister liegen, seine grüne Vize durch die Koalition zu tragen. Dass die Grünen das selbst tun werden, ist nicht mehr so sicher. Vassilakou ist angeschlagen. Ein Grund ist das Wahlergebnis vom 11. Oktober. Die Grünen wollten dazugewinnen, haben aber verloren – zwar nur 0,8 Prozentpunkte im Vergleich zu 2010, aber Vassilakou hatte ihren Rücktritt angekündigt, "sollte es zu Verlusten kommen".

Ihre Verteidiger werfen an dieser Stelle ein: In absoluten Zahlen haben die Grünen aufgrund der gestiegenen Wahlbeteiligung gewonnen, nämlich 3181 Stimmen. Stimmt. Aber der Lack ist ab. Das intern gesteckte Ziel waren 20.000 Stimmen mehr.

Die Rücktrittsdrohung und das fehlgelaufene Krisenmanagement in den Tagen nach der Wahl, als sich diese Frage stellte und Vassilakou sich halbherzig herauszureden versuchte, sind Fehler, über die sich wahrscheinlich niemand mehr ärgert als sie sich selbst.

... und grüne Realität

Im Augenblick läuft es bei den Wiener Grünen nicht gut. Das Wahlergebnis hat viele enttäuscht, und der neue Klub im Rathaus ist recht willkürlich zusammengesetzt: Manche Kernthemen wie Soziales und Frauen sind überbesetzt, dafür liegen Bildung, Wirtschaft und Kultur brach. Was Vassilakou als Führungsschwäche ausgelegt wird, hat seinen Grund in der Basisdemokratie, gegen die auch die Parteiführung machtlos ist. "Die Debatte ist müßig", winkt Vassilakou ab, "das ist die Art, wie wir unsere Entscheidungen treffen. Das gehört zum Selbstverständnis der Grünen, auch wenn das heißt, dass man sich nichts wünschen kann."

Als Zukunftshoffnung der Grünen ging die 46-Jährige einigermaßen ramponiert aus den Koalitionsverhandlungen hervor. Was sie nach wie vor bestens beherrscht, wenn auch nicht zu ihrer eigenen Freude, ist die Rolle des rot-grünen Schreckgespenstes; ein bisschen großbürgerliches Bobotum, ein Hauch von Revolte und gestürmten Barrikaden. Vassilakou ist gleichermaßen Feindbild der Konservativen wie Liebkind des linken Lagers – und dort zunehmend der Blitzableiter enttäuschter Hoffnungen und überzogener Erwartungen. (Michael Völker, 21.11.2015)