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Trotz der glänzenden Geschichte der klassischen Literatur einerseits und der reichen Erfahrungen verängstigter, von Krisen geschüttelter iranischer Menschen andererseits hat diese Literatur ihren Weg in die Welt noch nicht gefunden.

Foto: EPA/STRINGER

Amir Hassan Cheheltan, geb. 1956 in Teheran, absolvierte ein Studium der Elektrotechnik. Seine schriftstellerische Tätigkeit begann er 1976. Zuletzt erschien der Roman "Der Kalligraph von Isfahan" (Beck), und zwar auf Deutsch, weil der Autor das Buch der iranischen Zensur nicht aussetzen wollte.

Zu Beginn möchte ich Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, dass Sie mich sowie meine Kollegen und Landsleute aus allen vier Enden der Welt in die schöne Stadt Wien eingeladen haben, damit wir Sie etwas näher als bisher mit der persischen Gegenwartsliteratur bekannt machen.

Wenn wir die uralten Wurzeln der persischen Sprache einmal beiseitelassen, eben der Sprache, deren ich mich hier und jetzt Ihnen gegenüber bediene, so wird diese in einem beachtlichen Teil der Welt seit mindestens über zwölf Jahrhunderten verwendet.

So lange existiert eine schriftliche Überlieferung, eine Überlieferung, die kein Monopol der Herrschenden oder der Verkünder der Religion ist und sich nicht auf diese beschränkt, sondern die uns durch die Verse ihrer Dichter wie Rudaki bekannt ist und ebenso, oder vielleicht noch wichtiger, durch das gewaltige Epos von Firdausi, das Schahnameh bzw. Königsbuch, das als eines der drei berühmten, alten Heldenlieder der Welt gilt.

Ja, wir schreiben noch heute mehr oder weniger in der Sprache des Königsbuches, aber diese Literatur blüht trotz einer so weit zurückreichenden Tradition nur im Verborgenen, sodass sie notwendiger- und berechtigterweise in der Welt unbekannt ist. Im Westen fällt den Leuten, wenn die Rede auf die zeitgenössische iranische Literatur kommt, nur selten ein Name ein. Die Abendländer nehmen diese Literatur noch immer lediglich durch ihre Geschichte wahr. Was auch immer der Grund für diese Isolation sein mag, ich kann nicht umhin, sie mit der Ausgrenzung der Literatur und derer, die sie schaffen, im nationalen Rahmen in Verbindung zu bringen.

Aufgezwungene Isolation

Diese unfreiwillige, aufgezwungene Isolation im widersprüchlichen kulturellen Kontext unserer Gesellschaft hat die Eliten, von denen die Schriftsteller vielleicht einen besonderen Teil bilden, zu einer Insel im Ozean der Propaganda gemacht, einer Propaganda, die ständig ein und dasselbe wiederholt und von uns Bürgern nur dieses eine will.

Ein Punkt, auf den ich hinweisen muss, ist folgender: Im Iran ist die Erneuerung des literarischen Lebens nicht dem Erwachen der Gesellschaft geschuldet, sondern sie ist selbst eine der tragenden Säulen dieses Schaffens. Die neue Literatur Irans huldigt sowohl in der Lyrik wie in der Prosa einer modernen Sichtweise, so wie der Mensch in der westlichen Philosophie definiert wird. Diese Art zu schreiben resultiert wohl zugleich und natürlich in noch stärkerem Maße aus unserem sozialen Denken. Es ist also kein Zufall, wenn die Hüter der Tradition sich gegen sie wenden.

Es ist richtig, dass die lebendig gebliebenen Überlieferungen unserer langen Geschichte jeglicher Veränderung einen nachhaltigen Widerstand entgegengesetzt haben und uns gelegentlich mit erstaunlichen, seltsamen historischen Rückschlägen konfrontiert haben, aber glücklicherweise ist niemand in der Lage, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die unvermeidlichen Geschehnisse und Entwicklungen aufzuhalten. Die moderne Literatur des Iran ist aus einer solchen Logik der Geschichte heraus entstanden.

Vom Beginn des 20. Jahrhunderts an bis heute haben wir in einer Flut literarischer Stile und Techniken, angefangen vom Naturalismus und Symbolismus bis hin zum politischen Roman und dem magischen Realismus, ja sogar dem Dekonstruktivismus und der Postmoderne, alles in der zeitgenössischen Literatur erprobt. Das heftige Verlangen, auf der Höhe der Zeit zu sein, hat fast alle iranischen Dichter und Schriftsteller wie eine Mode erfasst.

Tatsächlich gelten einerseits für den iranischen Schriftsteller die großen technischen Errungenschaften der westlichen Literatur, sodass er sich der Versuchung, sie auf dem Felde der persischen Sprache anzuwenden, nicht zu entziehen vermag; und auf der anderen Seite steht er unter dem Zwang, dass er sich Problemen gegenübersieht, die jeden Augenblick seines Lebens mit ihrer unübersehbaren Präsenz füllen.

Trotz der glänzenden Geschichte der klassischen Literatur einerseits und der reichen Erfahrungen verängstigter, von Krisen geschüttelter iranischer Menschen andererseits hat diese Literatur ihren Weg in die Welt noch nicht gefunden. Liegt es daran, dass die komplizierten politischen Strukturen dieser Gesellschaft es noch nie erlaubt haben, unsere Beziehungen zum Westen auf eine auf Gegenseitigkeit beruhende, kulturell fruchtbare Weise zu entwickeln?

Die neue Literatur des Iran wurde mit der Krise zugleich geboren, die Krise ist der Übergang einer mittelalterlichen Gesellschaft zu einer Gesellschaft, in der Rationalität und Wissen herrschen und in der die Schriftsteller und die Intellektuellen deren Bannerträger waren. Diese Krise dauert noch an, und ebendeswegen ist das gesellschaftliche Engagement mehr oder weniger während des gesamten 20. Jahrhunderts einer der wesentlichen Züge der modernen iranischen Literatur gewesen.

Genau deswegen waren alle Regierungen mit mehr oder weniger Strenge darauf aus, diese neuen Stimmen zum Schweigen zu bringen, und eben das war der Grund dafür, dass in der Literatur eine Front des Widerstandes eröffnet worden ist. Aber im letzten Jahrzehnt hat sich eine Strömung in eine andere Richtung entwickelt, die der Politik fernsteht, eine eigenwillige, eigenbrötlerische Art des literarischen Schaffens macht sich unter den jungen Schriftstellern deutlich bemerkbar.

Ich denke, dass man beim Studium der zeitgenössischen Literatur des Iran versteht, was Iraner zu sein heutzutage bedeutet; und ich bin überzeugt, dass diese Literatur wie die jeder anderen Sprache in jedem spezifischen Zeitabschnitt diese Aufgabe erfüllt; aber warum zeigen die Abendländer so wenig Interesse, sich mit den Realitäten der aktuellen iranischen Gesellschaft vertraut zu machen?

Wollen sie Iran gleichsam als Land von Tausendundeiner Nacht, als Land der Fabeln sehen, und die moderne iranische Literatur würde ihnen etwas anderes zeigen? Warum hat die zeitgenössische Literatur des Iran keine Neugier bei den Abendländern geweckt? Wie kann diese Literatur einen Europäer beeindrucken?

Auf diese Fragen gibt es vielleicht keine klare Antwort. Aber man kann aufrichtig sein und mit dem Blick eines Pathologen die Gründe untersuchen: Die Ideologisierung der persischen Literatur hat verschiedene Fähigkeiten verkümmern lassen. Andererseits betrachten die Regierungen die Literatur als ihre Propagandamaschine, und diese Haltung legt einen anderen Teil der Talente lahm.

In den vergangenen Jahren haben die Restriktionen beim Schreiben das Spielfeld der Erzählungen junger iranischer Schriftsteller auf den Raum einer abgeschlossenen Wohnung reduziert, so als ob es außerhalb dieser keinen Ort gäbe oder, wenn es ihn geben sollte, kein Fenster in den Wänden dieses Appartements eingebaut ist, das einen Blick darauf erlaubte; eine solche Literatur kennt weder eine historische Zeit noch einen geografischen Ort.

Trotz dieser Tatsachen bin ich überzeugt, dass diese Literatur wie jede andere echte Literatur ihren Grund in Erfahrungen hat, die einer Person zugehören, und dass nur Schriftsteller aus einem bestimmten geografischen Raum und aus einer besonderen historischen Situation mit einer eigenen, von anderen verschiedenen Kultur fähig sind, sie zu schaffen; das außer Acht zu lassen heißt einerseits, eine eigene Art von Schönheit zu übersehen, und andererseits, auf die Bekanntschaft mit einem Teil menschlicher Erfahrung zu verzichten.

Natürlich ist die Literatur überall und in allen Schichten ebenso ein großartiger Gesprächsgegenstand, aber im Laufe der vergangenen Tage, Monate und Jahre gab es auch andere Nachrichten, eine von ihnen – und wohl nicht die unwichtigste – war die, dass das Meer an einem Tag, der ansonsten mehr oder minder allen anderen glich, plötzlich den Leichnam eines dreijährigen kurdischen Kindes an den Strand spülte.

Dieser Tage frage ich mich angesichts der Verbreitung der Medien schon aus dem Grunde, dass heutzutage jedes literarische Ereignis vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit stattfindet und die Leserschaft möglicherweise internationale Dimensionen gewinnt, mehr denn je, ob die Literatur, während der Teil der Welt, aus dem ich komme, im Feuer von Krieg, Gewalt und Vertreibung verzehrt wird, etwas ausrichten kann. Hat die Literatur die Kraft, der Unterdrückung und dem Fundamentalismus zu widerstehen? Wird die Literatur, wenn die größten Gefahren uns noch erwarten, in der Lage sein, inmitten der apokalyptischen Ereignisse im Mittleren Osten ein Wesen namens "Mensch" zu schützen?

Ich habe im Laufe der letzten drei Jahrzehnte knapp ein Drittel der Zeit im Westen verbracht, und ich habe das Gefühl, dass die Welt nur ein größeres Musterbeispiel dessen ist, was den Namen Iran trägt, nämlich ein riesiges Produkt jener Gleichförmigkeit, das die internationalen Medien aufbauen, im Gegensatz zu der vielstimmigen, aber ohnmächtigen Welt der Literatur. In dieser Welt ohne Gedächtnis mussten sogar die kleinen Buchhandlungen, die es in jedem Stadtviertel gab und die eine besondere Atmosphäre schufen, allmählich Supermärkten des Buchvertriebs mit einem luxuriösen Äußeren weichen mit Verkäufern, welche die Bücher nur aufgrund ihrer Registraturnummer im Computer kennen. Die Literatur wird von Tag zu Tag schwächer und tonloser.

Gestatten Sie mir, meine Ansprache mit einem aufrichtigen Bekenntnis zu beenden: Meine Damen und Herren, ich fühle mich als Schriftsteller in Anbetracht dieser historische Situation hilflos. (Amir Hassan Cheheltan, Album, 19.11.2015)