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Es begann suboptimal. Bei der Wahl am 18. September 2005 wurde die Union mit Angela Merkel zwar stärkste Kraft. Aber sie schaffte nur 35,2 Prozent und war somit weit entfernt von jenen "40 Prozent plus x", die der damalige Generalsekretär Volker Kauder (CDU) zuvor ausgerufen hatte.

Der Abend war sowieso eine Katastrophe. Der eben nach sieben Jahren abgewählte Gerhard Schröder blaffte Merkel bei der "Elefantenrunde" im Fernsehen an, dass sie niemals Kanzlerin werden würde, da müsse man schon mal "die Kirche im Dorf lassen".

Legendärer Auftritt von Gerhard Schröder und Angela Merkel bei der "Elefantenrunde".
phoenix

Merkel, in einem schlichten schwarzen Hosenanzug, saß neben ihm und schaute ebenso irritiert wie verschüchtert drein. Man konnte es in dem Moment nicht ganz glauben: Diese Frau sollte jetzt, nach dem Macho und Macher Schröder, die größte Volkswirtschaft Europas führen?

Zwei Monate später, am 22. November 2005, wurde Merkel im Deutschen Bundestag vereidigt. "Ich will Deutschland dienen", sagte sie, und es lag dann doch ein gewisser Zauber über dieser Szene. Die erste Frau im deutschen Kanzleramt, noch dazu eine Ostdeutsche, eine Protestantin, auch noch geschieden. Es waren ziemlich viele Neuerungen – viel zu viele, befanden auch zahlreiche männliche Unionspolitiker mit geballter Faust in der Tasche. Lange sahen sie das ehemalige "Mädchen" von Helmut Kohl als eine Art Betriebsunfall an, als weibliche Ausnahme in einer mächtigen Männerriege. Auch sie sollten sich irren.

Zehn Jahre später ist Merkel immer noch da, am Sonntag feiert sie ihr Jubiläum. "Das ist wahrscheinlich die größte Überraschung ihrer Amtszeit, dass sie tatsächlich eine so lange Zeit durchgehalten hat", sagt Herfried Münkler, Politologe an der Freien Universität Berlin. Sehr viele ihrer Weggefährten, die ja eigentlich auch immer Konkurrenten waren, sind nicht mehr dabei: Edmund Stoiber (Ex-Ministerpräsident von Bayern und Ex-CSU-Chef) ist in Politrente, ebenso die ehemaligen Ministerpräsidenten von Hessen, Roland Koch, und Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers.

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Christian Wulff ist ohnehin ein eigenes Kapitel, er hat sich – so ist zu hören – mit seiner Frau Bettina versöhnt, wird aber politisch wohl nie wieder in Deutschland Fuß fassen. Auch weg vom Fenster: Friedrich Merz, der Wirtschaftsexperte. Er hat sich längst frustriert zurückgezogen, weil Merkel ihren Reformankündigungen keine Taten hatte folgen lassen.

Historische Leistung fehlt

Apropos Reformen. Tatsächlich war Merkel als CDU-Oppositionschefin mit großen Versprechungen angetreten. Eine für alle Bürger gleich hohe Kopfpauschale wollte sie in der Krankenversicherung einführen. Das Steuersystem solle so vereinfacht werden, dass eigentlich jeder Steuerberater arbeitslos hätte werden sollen. Denn die jährliche Steuererklärung hätte, wie es Merz einmal formulierte, auf einen Bierdeckel passen sollen. Nichts davon ist umgesetzt worden.

Kritiker werfen Merkel vor, jetzt zehn Jahre Kanzlerin zu sein, aber noch keine einzige Leistung von wirklich historischem Wert vollbracht zu haben. Konrad Adenauer (CDU) hatte nach dem Zweiten Weltkrieg den ehemaligen "Paria" Deutschland zurück in die internationale Staatengemeinschaft geführt, Willy Brandt (SPD) hat für seine Politik der Ostöffnung sogar den Friedensnobelpreis bekommen. Sein Nachfolger, der eben verstorbene Helmut Schmidt (SPD), wies die RAF in die Schranken, Helmut Kohl (CDU) ist der Kanzler der Einheit. Und der Name von Gerhard Schröder (SPD) wird für immer untrennbar mit jenen einschneidenden Sozialreformen verbunden sein, die Deutschland wirtschaftlich wieder fit machten.

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Angela Merkel (Kanzlerin seit 2005) an der Seite ihrer Vorgänger: Konrad Adenauer (1949–1963), Ludwig Erhard (1963–1966), Kurt Georg Kiesinger (1966–1969), Willy Brandt (1969–1974), Helmut Schmidt (1974–1982), Helmut Kohl (1982–1998) und Gerhard Schröder (1998–2005).
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Manchmal treibt Merkel Journalisten, die ewig auf der Suche nach Schlagzeilen sind, durch ihre Zurückhaltung und die abwägenden Sätze zur Weißglut. Aber man hat natürlich gelernt, sie zu dechiffrieren. "Ich glaube, wir sollten ..." – das heißt so viel wie: "Ich will." Schröder war völlig anders, er wurde nicht umsonst "Basta-Kanzler" genannt. So hat er sich auch innerparteilich seine Macht gesichert. Sein Vorgänger Helmut Kohl hingegen telefonierte jedem CDU-Kreisvorsitzenden persönlich hinterher, gratulierte zum Geburtstag, fragte nach Kindern und Enkeln. Er schmeichelte den Seinen, um sich im Sattel zu halten.

Schlaf ist kein Thema

Wie macht es Merkel? Selbst professionelle Beobachter können nur mutmaßen. Politologe Münkler sieht "eine große Loyalität ihrer Leute" und ein unglaubliches physisches Durchhaltevermögen. Merkel sagt selbst, dass sie mit recht wenig Schlaf auskommt. In der Tat sieht man Merkel die Erschöpfung und Anstrengung (vor allem bei Verhandlungen in Brüssel) oft deutlich an. Aber immer vermittelt sie: Es geht weiter.

Münkler meint, dass ihr auch ein "allgemeiner gesellschaftlicher Prozess zur Mitte hin" geholfen habe. Merkel ist eine große Pragmatikerin. Als sie merkte, dass ihre Reformpläne viele Deutsche überfordern würden, machte sie nicht nur einen Rückzieher, sondern wechselte überhaupt gleich die Richtung.

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Auch frisurentechnisch reifte Angela Merkel von "Helmut Kohls Mädchen" zur Staatsfrau.
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Will heißen: Sie verleibte sich eine sozialdemokratische Position nach der anderen ein. Mindestlohn, Ausbau von Kindergärten, Abschaffung der Wehrpflicht, Atomausstieg – für eine Menge Projekte, die Merkel umsetzte, traten ursprünglich Sozialdemokraten und Grüne ein. "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial – und das macht die CDU aus", sagte sie 2009. Der SPD neben ihr bleibt da nur das Schattendasein.

In den vergangenen Jahren war sie vor allem als Krisenmanagerin gefragt. Sie reagierte dabei viel mehr als sie agierte. Bankenkrise, Weltwirtschafts- und Finanzkrise, danach folgte die Griechenlandkrise, deren Bewältigung Merkel enorm viel Zeit und Kraft kostete, aber auch wieder den Merkel’schen Pragmatismus zeigte. 2010 wollte sie für die Griechenland-Rettung noch keinen Cent geben, später dann wurden es doch drei Rettungspakete.

Lange Zeit hat dies auch gereicht, Merkel war unangefochten populär und beliebt bei den Deutschen. Das Volk, das den Konsens liebt, und seine unprätentiöse Kanzlerin haben sich gut aneinander gewöhnt. "Mutti" wird Merkel genannt – mal ironisch-verächtlich, weil sich in diesem Wort die ganze deutsche Spießigkeit mit Wanderurlaub und Kartoffelsuppe (beides mag Merkel) widerspiegelt. Andererseits ist "Mutti" eine Auszeichnung. Wer sonst hält den Laden zusammen?

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Farbenreiches Jubiläum: Angela Merkel ist seit zehn Jahren deutsche Kanzlerin.
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Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich bei ihr einfach gut aufgehoben. Die Kanzlerin stehe für das "Lebensgefühl einer beschützten Neutralität", schrieb die Tageszeitung Die Welt einmal. Deutschland engagierte sich militärisch weder in Libyen noch im Irak, dank der guten Konjunktur ist die Arbeitslosigkeit niedrig. Von schrecklichen Terroranschlägen wie eben in Paris ist Deutschland verschont geblieben.

Im kleinen Kreis kann Merkel ungemein ätzend sein, ihre scharfe Zunge ist gefürchtet. Als der frühere Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sie öffentlich kritisierte, hat sie ihn eiskalt vor laufenden Kameras hinausgeworfen.

Urlaub in Südtirol

Das Volk aber erlebt sie meist als kontrolliert, höflich und bescheiden. Im Sommer konnte sie sich über eine Umfrage freuen, die der Union die absolute Mehrheit bescheinigte – vor allem wegen Merkels großer Beliebtheit.

Zu dieser Zeit waren schon immer mehr Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Merkel, in ihrem traditionellen Sommerurlaub in Südtirol, ahnte wohl noch nicht, dass diese wenig später zur größten Herausforderung ihrer Kanzlerschaft werden würden. Seit Wochen strömen sie ins Land, Merkel selbst hat sie quasi im Sommer eingeladen, als sie zuließ, dass die Dublin-Regeln (jeder Flüchtling wird in jenem Land registriert und ins Verfahren gebracht, in dem er EU-Boden betritt) ausgesetzt wurden.

Umfragewerte sinken

"Wir schaffen das", lautete ihr viel zitiertes, aber auch viel kritisiertes Mantra. Daran jedoch zweifeln viele Deutsche mittlerweile stark. Und so stellt sich zum zehnjährigen Jubiläum auch die Frage: Schafft Merkel das? Ihre Beliebtheitswerte sinken, die CDU verliert in Umfragen, gleichzeitig klettert die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) auf zehn Prozent.

"Merkel hatte ein Herz, aber keinen Plan", ätzt ihr Vorgänger Schröder, und man könnte das natürlich als einen griffigen Spruch abtun. Doch Merkels Flüchtlingskoordinator, Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), sagt nichts anderes: "Wir haben keine Blaupause, keinen Plan, den wir aus der Schublade ziehen können."

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Noch nie in ihrer Amtszeit herrschte in der CDU ein solcher Frust. Wie es in der Flüchtlingskrise weitergeht, ist derzeit nicht absehbar. In Berlin aber munkelt man seit geraumer Zeit, was Merkels Zukunft betrifft: Sie hat im Moment einfach Glück im Unglück. Es gibt nämlich niemanden, der ihr als Herausforderer in den eigenen Reihen wirklich gefährlich werden könnte. (Birgit Baumann, 22.11.2015)