Nervosität in Stockholm.

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Inmitten vorweihnachtlicher Prachtbeleuchtung herrscht in Stockholm Nervosität. Seit vergangener Woche gilt in Schweden wegen "konkreter Bedrohungen" die zweithöchste Terrorwarnstufe. Ein Festgenommener wurde am Sonntag wieder auf freien Fuß gesetzt, mehrere Vernehmungen laufen. Die rot-grüne Regierung plant nun weitreichende Antiterrorgesetze. Schweden, so Ministerpräsident Stefan Löfven, sei in Sachen Terror "naiv" gewesen.

Naiv? Die Zeitung Svenska Dagbladet moniert eine typisch schwedische Abneigung, unerfreuliche Tatsachen "so zu sehen, wie sie sind". Immerhin gab es bereits 2010 einen Selbstmordanschlag in der vorweihnachtlichen Stockholmer City. Der Täter hinterließ Lobeshymnen auf den islamistischen Terror; dass nur er selbst zu Tode kam, war wohl einzig seiner Unbedarftheit zu verdanken.

Im europäischen Spitzenfeld

An die 300 Menschen sind aus Schweden zum Jihad gen Nahost gereist. Gemessen an der Bevölkerungszahl liegt das Land damit im europäischen Spitzenfeld. Nur schleppend verliefen aber bisher Bemühungen um Strategien zur Bekämpfung von gewaltbereitem Extremismus. Rückkehrer aus dem vom "Islamischen Staat" kontrollierten Gebiet – rund 120 sind es bisher – kann man juristisch kaum belangen. Strafbar sind nur nachgewiesene Gräueltaten, nicht aber Reisen in Kriegsgebiete oder die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Nach wie vor gibt es keine Ausstiegsprogramme für Islamisten wie beispielsweise im benachbarten Dänemark. Nach wie vor kann man einen Pass ein ums andere Mal "verlieren" und problemlos neu beantragen – schwedische Pässe sind bei Fälschern weltweit begehrt. Und Polizei wie Militär sind für einen Ernstfall schlecht gerüstet: So wurde 2012 die Bereitschaftspolizei abgeschafft; die Streitkräfte haben in den vergangenen Jahren stetig abgespeckt und den Fokus von der Landesverteidigung auf Auslandseinsätze verlegt.

Momentan ächzt die Polizei unter der Flüchtlingskrise. Die Anfang November eingeführten Grenzkontrollen würden "nahezu sämtliche Kapazitäten beanspruchen", hatte die Polizeiführung zu Beginn der Kontrollen gewarnt. Für Unruhe sorgte vor wenigen Tagen auch die Nachricht, dass 40 Prozent der Asylentscheidungen ohne Kenntnis der Identität der Asylsuchenden gefällt werden. Nun will man Asylbewerberheime stärker kontrollieren.

Und im Schnellverfahren will die Regierung ein in Teilen bereits im August angedachtes Antiterrorpaket schnüren. So soll das Parlament noch vor Weihnachten einen Gesetzentwurf zur Kriminalisierung von "Terror-Reisen" behandeln. Auf EU-Ebene macht sich Schweden für die Kontrolle biometrischer Daten wie Fingerabdrücke in Pässen stark. Und die Polizei soll mehr Abhörbefug-nisse erhalten, beispielsweise mit der Installation sogenannter Trojaner in den Computern Verdächtiger.

Politischer Schulterschluss

Während der Anwaltsverband vor Angriffen auf die Integrität der Bürger warnt, gibt sich die Politik blockübergreifend zur Verabschiedung der Gesetze entschlossen. Es sei nicht die Zeit für "Parteiengezänk", so die konservative Oppositionsführerin Anna Kinberg Batra. Auch die Grünen, mit der Verteidigung persönlicher Integrität als Paradedisziplin, stimmen als Junior-Koalitionspartner den Gesetzentwürfen ausdrücklich zu. In Kürze beginnt in Göteborg der Prozess gegen zwei mutmaßliche IS-Rückkehrer. Für die Straftaten soll es Bildbeweise geben. (Anne Rentzsch aus Stockholm, 23.11.2015)