Man stelle sich zum Beispiel vor, in Deutschland wäre Vergleichbares passiert: Pegida-Anhänger hätten eine Kundgebung auf einem Denkmal für Deserteure aus der Armee Adolf Hitlers gemacht. Hätten es erklommen, oben ein Pult aufgestellt und von dort ihre Reden geschwungen.

Mit einiger Sicherheit wäre die Aufregung groß – und zwar mit vollem Recht. Politiker aller Parteien würden die Aktion verurteilen. Wohl auch jener Parteien, die Regierungsverantwortung tragen. Wer von einem Denkmal für Schießbefehlverweigerer aus die Bewaffnung von Bürgerinnen und Bürgern gegen "Terroristen" fordert, begehe politischen Missbrauch, würde es wohl heißen. Weil es so etwas wie politischen Anstand gebe, eine übergeordnete Moral, die man sich aus der Geschichte angeeignet hat.

Solche Lehren wurden in Österreich offenbar immer noch nicht gezogen; oder aber sie wurden wieder vergessen: Von den Grünen abgesehen, hat sich einen Tag nach der Rechten-Kundgebung auf dem Deserteursdenkmal auf dem Wiener Ballhausplatz kein einziger Politiker zu Wort gemeldet. Und die Polizei, die immerhin vor Ort anwesend war, gibt an, nicht genau festgehalten zu haben, wo die Tribüne stand: Sie habe Wichtigeres zu tun gehabt.

Wüsste man es nicht besser: Angesichts dessen könnte man wahrlich zu zweifeln beginnen, ob Österreich wirklich in Westeuropa liegt. (Irene Brickner, 23.11.2015)