Bremerhaven – Langzeitbeobachtungen in der Framstraße zwischen dem Nordatlantik und dem Arktischen Ozean legen nahe, dass die Erwärmung der arktischen Gewässer durch den Klimawandel künftig zu einer radikalen Veränderung der Meereslebensräume im hohen Norden führen dürfte. Forscher des Alfred-Wegener-Institutes (AWI) in Bremerhaven stellten fest, dass bereits ein vorübergehender Warmwassereinstrom in den Arktischen Ozean ausreicht, um die Lebensgemeinschaften von der Wasseroberfläche bis hinunter in die Tiefsee grundlegend zu beeinflussen.

Seit längerem ist bekannt, dass die Meereisdecke der Arktis durch den Treibhauseffekt schrumpft und sich die Weltmeere langsam erwärmen. Wie die polaren Meereslebewesen darauf reagieren werden, war jedoch lange unklar. Wissenschafter des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) konnten jetzt anhand einer einzigartigen Langzeitbeobachtung zeigen, dass die arktischen Meereslebensräume im Zuge eines anhaltenden Temperaturanstieges ihr Gesicht radikal verändern könnten. Wie die Forscher im Fachmagazin "Ecological Indicators" schreiben, überrascht sie vor allem, dass sich wärmebedingte Veränderungen an der Meeresoberfläche außerordentlich schnell auch auf das Leben in der Tiefsee auswirken.

Wärmeeintrag kam einem Temperaturschock gleich

Normalerweise hat das oberflächennahe Wasser, das aus dem Atlantik durch die Framstraße Richtung Norden strömt, eine Durchschnittstemperatur von drei Grad Celsius. Mithilfe ihres Meeresobservatorium "HAUSGARTEN" konnten die Forscher jedoch feststellen, dass im Zeitraum von 2005 bis 2008 die Durchschnittstemperatur der einströmenden Wassermassen ein bis zwei Grad Celsius höher lag: "In dieser Zeit flossen große Mengen vergleichsweise warmen Wassers in den Arktischen Ozean. Da die polaren Organsimen an gleichbleibend kalte Bedingungen angepasst sind, kam dieser Wärmeeintrag einem Temperaturschock gleich", erläutert AWI-Biologe Thomas Soltwedel.

Entsprechend stark fielen die Reaktionen im Ökosystem aus: "Wir konnten in verschiedenen Lebensgemeinschaften, von den Mikroorganismen über die Algen bis zum Zooplankton, tiefgreifende Veränderungen feststellen. Auffällig war zum Beispiel die Zunahme freischwimmender Flügelschnecken und Flohkrebse, die für gewöhnlich in den gemäßigten und subpolaren Bereichen des Atlantiks vorkommen. Die Zahl der arktischen Flügelschnecken und Flohkrebse nahm hingegen deutlich ab", berichtet Soltwedel.

Buchstäblich tiefgehender Wandel

Als außergewöhnlich bezeichnet er auch die Abnahme der kleinen, hartschaligen Kieselalgen. Sie hatten vor dem unerwarteten Warmwassereinstrom etwa 70 Prozent des pflanzlichen Planktons in der Framstraße ausgemacht. Während der Warmphase machte sich aber anstelle der Kieselalgen die Schaumalge Phaeocystis breit. Ein Wandel mit Konsequenzen: "Im Gegensatz zu Kieselalgen verklumpen Schaumalgen leicht und sinken dann geballt schnell bis zum Meeresboden hinab, wo sie als Nahrungsangebot zur Verfügung stehen", erläutert Soltwedel. Der plötzliche Futterregen aber führte zu starken Änderungen des Lebens in der Tiefsee. So nahm zum Beispiel die Besiedlungsdichte der bodenbewohnenden Organismen merklich zu.

Wie sich all diese Veränderungen künftig auf das gesamte arktische Nahrungsnetz auswirken werden, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Allerdings finden es die Wissenschafter beunruhigend, dass die beobachteten Veränderungen derart rasch erfolgten und sich so gravierend auswirkten. (red, 22.11.2015)