Wien – Zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt der Österreichische Presserat, was die Abbildung toter Flüchtlinge in österreichischen Zeitungen betrifft. Das Foto, das einen auf der Flucht nach Europa ertrunkenen Buben namens Aylan zeigt, sei demnach "angemessen". Die Veröffentlichung eines Fotos der Leichen von Flüchtlingen, die Ende August in einem Lkw gefunden wurden, verstößt dagegen gegen den Ehrenkodex der Österreichischen Presse.
Flüchtlingsbub: Verfahren gegen Medien eingestellt
Anfang September sorgte die Veröffentlichung der Fotos, die den Leichnam des ertrunkenen syrischen Flüchtlingsbuben Aylan zeigen, für Aufregung. Nun beurteilte der österreichische Presserat die Publikation der Bilder als "angemessen". Das Verfahren gegen "Profil", "kurier.at" und die Tageszeitung "Österreich" wurde eingestellt, wie es in der der APA vorliegenden Entscheidung heißt.
Obwohl der Persönlichkeitsschutz bei Kindern besonders weit reiche und der Moment des Todes grundsätzlich zur Privatsphäre zähle, sprechen laut Entscheidung des Presserats in diesem Fall "gewichtige Gründe für die Zulässigkeit der Veröffentlichung der Bilder". Denn nicht nur sei das Thema Flüchtlinge in den vergangenen Monaten das wichtigste in der Medienberichterstattung gewesen, die Fotos des ertrunkenen Buben brächten auch "die Dimension des Leids und die Gefahren, die die Flüchtlinge während ihrer Schiffsreise im Mittelmeer erwarten, auf den Punkt", urteilte das Gremium.
Bilder nicht voyeuristisch aufbereitet
Zudem "stehen die weltweit verbreiteten Bilder stellvertretend für die zahlreichen ertrunkenen Flüchtlinge und könnten zeithistorische Bedeutung erlangen", heißt es in der Entscheidung weiter. Die Veröffentlichung habe außerdem zur Sensibilisierung der Allgemeinheit beigetragen und die österreichische wie europäische Öffentlichkeit "wachgerüttelt". Der Vater von Aylan habe sich ebenfalls mehrfach für eine Verbreitung der Fotos ausgesprochen. Keines der Bilder sei "sensationell oder voyeuristisch" aufbereitet worden.
Sowohl "kurier.at" als auch "Österreich" veröffentlichten jenes Foto, auf dem ein türkischer Gendarm zu sehen ist, der den toten Buben davonträgt. In jenem Ausschnitt, den "kurier.at" wählte, sind nur die Beine des Flüchtlings zu erkennen, "Österreich" bildete Beine, Oberkörper und Arme des toten Kindes ab. Das Wochenmagazin "Profil" entschied hingegen, jenes Foto, das die Leiche des Buben am Strand von Bodrum zeigt, auf dem Cover zu publizieren. Aylan ist von hinten zu sehen, das Gesicht des Kindes nicht erkennbar.
Öffentliches Interesse überwiege
Die Darstellung des toten Kindes beurteilte der Presserat als "nicht entstellend" – vor allem jenes Foto, das "kurier.at" und "Österreich" ausgewählt hatten. Aber auch das "Profil"-Cover sei zwar bedrückend, aber ebenfalls nicht entstellend. Im Fall des Magazins sei vor allem der Kontext der Veröffentlichung zu beachten, der Begleittext als auch der Artikel würden auf die Gefahren für Flüchtlinge hinweisen und Lösungsvorschläge präsentieren. "Ganz im Sinn der Hauptgeschichte soll das Bild betroffen machen, aufrütteln und Bewusstsein schaffen", so der Presserat.
Aufgrund dieser Umstände sowie der großen Aktualität des Flüchtlingsthemas sei die Veröffentlichung der Fotos "angemessen". Das öffentliche Interesse überwiege gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Buben, heißt es in der Entscheidung. Das Verfahren, das der Presserat aufgrund der Mitteilung mehrerer Leser aufgenommen hatte, wird demnach eingestellt.
Leichen in Lkw: Rüge für "Krone"
Einen Verstoß gegen den Ehrenkodex der Österreichischen Presse stellte der Presserat dagegen bei der "Kronen Zeitung" fest. Die Zeitung hatte am 28. August ein Foto abgedruckt, dass die Leichen von Flüchtlingen in einem Lkw zeigt. Die Körper seien verkeilt, in sich verhakt und somit entstellend gezeigt worden. Damit sei die Menschenwürde der Verstorbenen missachtet worden, argumentiert der Presserat.
Auf STANDARD-Anfrage hatte Richard Schmitt, redaktioneller Berater des "Krone"-Herausgebers und Chefredakteur der Krone Multimedia, die Vorgehensweise nach der Veröffentlichung im August verteidigt: " Die Gesichter der Todesopfer sind nicht zu sehen, die Identität somit geschützt. Bei einer Tragödie dieses Ausmaßes muss eine entsprechende Bebilderung möglich sein."
Kontext entscheidend
180 Mitteilungen seien wegen des Fotos beim Presserat eingegangen, das sei die höchste Zahl seit der Wiedergründung des Organs 2010. Entscheidend für die unterschiedliche Beurteilung im Vergleich zum Fall des toten Buben am Strand sei der Kontext der Bilder gewesen. Der Text ziele in "erster Linie auf die Schlepperkriminalität ab", das Leid der Flüchtlinge werde nur am Rande thematisiert.
Der Presserat weist außerdem daraufhin, dass das Foto der "Kronen Zeitung" offenbar illegal aus Polizeikreisen zugespielt worden sei. Auf STANDARD-Anfrage gibt die Staatsanwaltschaft Eisenstadt bekannt, dass die Ermittlungen in diesem Fall noch nicht abgeschlossen seien. (APA, red, 23.11.2015)