Wolfgang Gerlich, Othmar Pruckner (Hg.), "Rennradfieber". € 34,90 / 265 Seiten. Falter-Verlag, Wien 2015. Die Herausgeber stellen das Buch am Dienstag, 24. 11., vor, mit Diskussion, Bildershow, Brot und Wein: 18 Uhr, Haus des Sports, Prinz-Eugen-Straße 12, 1040 Wien.

Foto: Falter Verlag

Man kann Rennräder feiern, wie die Blätter fallen. Straßen voller nassen Laubs mögen nicht die ideale Unterlage, der Herbst nicht der ideale Zeitpunkt sein für solche Fortbewegungsmittel und für ein Loblied auf sie. Aber, wie Rennradfieber in vielen Kapiteln klarmacht, es gibt eigentlich keinen Grund, je abzusteigen (außer das Bier danach).

Im Gegenteil. In Rennmaschinen werden, so argumentieren die Herausgeber Wolfgang Gerlich und Othmar Pruckner, Schönheit und Brauchbarkeit von normalen Fahrrädern auf die Spitze getrieben, und Räder im Allgemeinen sind sowieso die gescheitesten Fortbewegungsmittel, will man nicht gerade auf eine Insel oder nach Wladiwostok aufbrechen. Also haben sie fast zwei Dutzend Autoren und fünf Fotografen versammelt, um den Beweis anzutreten und "Lust und Leidenschaft auf dünnen Reifen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines schnellen Sports" (so der Untertitel) zu dokumentieren.

Wunderwerke des Abspeckens

Die Geschichte des Rennrads ist ein Abenteuer, an dem im Laufe von fast 150 Jahren Ingenieure, Unternehmer, Bastler, Sportler und Spinner mitgewirkt haben. Mit möglichst wenig Rad möglichst schnell weiterkommen: Das zählt, und diese Formel zeitigt Wunderwerke des Abspeckens, von den derzeit sehr beliebten klassischen italienischen Stahlrädern bis zu Karbongeschoßen, die das für Rennen vorgeschriebene Mindestgewicht von 6,8 Kilogramm lächelnd unterbieten.

Von Radrennen handeln auch einige Beiträge im Buch. Gerlich beschreibt, wo man sich überall über Pässe und enorme Distanzen quälen kann. STANDARD-Sportredakteur Fritz Neumann porträtiert den jungen Cycling-Star Patrick Konrad ("Im Rennen hab ich Killerinstinkt"). Pruckner macht "einige Bemerkungen zum Wiener Radstadion" und zu dessen nicht unproblematischem Namensgeber Ferry Dusika.

Lust am Treten

Vor allem aber geht es um die Freude an der Sache abseits des Spitzensports, um Radeln im Weinviertel oder im Wohnzimmer, um Fanclubs in Wirtshäusern und Austausch im Netz ("Strava: das Facebook der Rennradfahrer"). Über ihre Lust am Treten lässt sich die Sängerin Sandra Pires ebenso aus wie Pruckners 13-jährige Tochter Helene: "Unbedingt mit dem Fahrrad nach Berlin!"

Ein reines Jubelbuch ist es zum Glück dennoch nicht geworden. Enzyklopädisch, wie es aufgebaut ist, schließt es Kritik und Andersmeinende ein. Christoph Winder, ALBUM-Leiter und Spezialist für Krisen, beschreibt hier eine solche, er sieht ein, dass er mit dem Fachjargon eines Profis nicht mithalten kann, der "mühelos von Umlenkhebeln, Zugführungsklemmen, Cantileverbremsen, Schnellspannachsen" etc. spricht.

Doping im Fahrradsport

Der Physiker Werner Gruber hält nicht viel vom Radfahren und gar nichts vom Zuschauen ("Wem bringt das was?"), sein Lieblingssport ist Papierfliegerwerfen. Dass man auf grobem Kopfsteinpflaster nicht nur Trinkflaschen, sondern auch einmal eine Zahnplombe verlieren kann, wird ebenso wenig verschwiegen wie die Dopingproblematik, die den Radsport begleitet wie der Mephisto den Faust.Was ist nun, unterm Strich, das Wichtigste am Rennradfahren? Der Leser kann es sich aussuchen. Für den einen Beitragenden ist es die frische Luft, für die andere das Belohnungshormon Dopamin. Das Gruppengefühl wird gepriesen, aber ebenso die Aussicht, endlich allein zu sein. Harte Burschen schwärmen vom Ritt durchs schlammige Gelände, urbane Cowboys hingegen meinen: "Das Wichtigste ist, dass es gut aussieht."

Ebenso wichtig aber, möchte ich hinzufügen, ist es, ein zweites Rad zu haben, unscheinbar, langweilig, leicht angerostet, eines, das man stundenlang stehen lassen kann, ohne dass es einem geklaut wird. Umso größer die Freude, sich danach wieder auf das gut gehütete Rennrad schwingen zu können, mit – das Buch hat recht -, mit Lust und Leidenschaft. (Michael Freund, 24.11.2015)