Es gibt Orte, die ihre Anziehungskraft aus der Geschichte schöpfen, und Orte, deren Ausstrahlung aus der Faszination des Unbewussten und des Irrationalen kommt. La Scarzuola, die "ideale Stadt" im Herzen Umbriens, ist beides.

Sie befindet sich in Montegiove bei Montegabbione im Landkreis der Stadt Terni, umgeben von sanften Hügeln und grünen Eichenwäldern. Hier hat sich der Heilige Franz von Assisi eine Weile niedergelassen. Er pflanzte da einen Lorbeer- und dort einen Rosenstrauch, ließ eine Wasserquelle fassen, die heute noch existiert. Im Jahr 1218 gründete er ein Franziskanerkloster mit angeschlossener Kirche, dessen Name von einer Sumpfpflanze aus der Region stammt: italienisch Scarza, daher "La Scarzuola".

Foto: Casale Mille Soli

Jahrhunderte später, im Jahr 1956, kaufte der bekannte Mailänder Architekt und Bühnenbildner Tomaso Buzzi (1900-1981) das Franziskanerkloster und das ganze Grundstück, um dort die Stadt seiner Fantasien von 1958 bis 1978 zu errichten. Das heißt, die Verwirklichung eines Gedächtnistheaters, eines Traums aus Stein.

Buzzi gehörte einer wohlhabenden, großbürgerlichen italienischen Elite an und stemmte sich in der Architektur gegen den herkömmlichen Zeitgeist mit steigendem Hang zur Metaphysik und Esoterik. Er ließ also Kloster und Kirche restaurieren und übersiedelte dorthin samt seiner umfangreichen Bibliothek, seiner Kunstschätze und Bühnenbilder. Auf dem Areal daneben hat er die von ihm erträumte und entworfene utopische Stadt erbaut.

Ein Traum aus Stein

Für den Besucher, der leicht über die Autobahn von der Ausfahrt Fabro dorthin gelangt, ist der erste Blick frappierend: Man glaubt in einem Märchenbuch wie Alice im Wunderland gelandet zu sein und fragt sich: Ist es eine Kulisse, ein Bühnenbild aus Pappmaché oder gar eine städtebauliche Rekonstruktion einer surrealen Grafik von M. C. Escher? Nur langsam versteht man, dass man vor dem Werk eines außergewöhnlichen Künstlers, Theatermenschen und Ästheten steht.

La Scarzuola ist ein Gebäudekomplex rund um ein altes Franziskanerkloster im umbrischen Montegiove. Der Mailänder Architekt Tomaso Buzzi machte den Ort zu seiner "idealen Stadt".
Foto: Casale Mille Soli

Der Neffe von Buzzi, Marco Solari, der das Anwesen geerbt und die unvollendeten Projekte des Onkels anhand dessen Zeichnungen im Laufe der Jahre vollendet hat, hilft einem dabei, es zu verstehen: Es sei ein Baukomplex im Sinne der Renaissance und eine Hommage an die Vergänglichkeit. Deshalb ist alles aus Tuffstein gebaut, einem Material, das nicht für die Ewigkeit gedacht ist, sondern das sich gut in eine mobile, flüchtige Kulisse fügt. Man hat den Eindruck, mitten in einer Inszenierung und selbst Teil der Szenerie zu sein.

Das Konzept geht auf den Roman Hypnerotomachia Poliphili von Francesco Colonna aus dem Jahr 1499 zurück. Dieser war bereits Inspirationsquelle für die Giardini di Boboli, die berühmte Parkanlage in Florenz. Der Stil, der Buzzis Werk am besten bezeichnet, ist der des Neo-Manierismus: Das bedeutet Treppen, die überall und nirgendwohin führen, aufeinanderstehende Bauten, unverhältnismäßige Gebäudemaße, Türme, Theater, Miniaturkopien bekannter Monumente – etwa vom Kolosseum, Parthenon oder Arc de Triomphe.

Auf der Theaterbühne

Neben sieben Theatern gibt es in dieser Stadt sogar einen Turm zu Babel, ein Totem, einen gigantischen Frauentorso und ein esoterisches, drittes Auge. Man glaubt, in einem Labyrinth zu sein oder in einem Garten des 18. Jahrhunderts, der auf eine Theaterbühne versetzt wurde. Eine magische, surreale Aura umgibt den Besucher, der sich wahrscheinlich nicht einmal wundern würde, hier eine Philosophenschule hinter den Zypressen zu entdecken.

Foto: Casale Mille Soli

La Scarzuola ist ein einmaliger Ort, an dem der Schöpfer Monumente des Unvollendeten verwirklicht hat, egomanische und kitschige Fantasien inklusive. Man kann sich nach dem Sinn fragen, ob es Kunst, Theater, Psychoanalyse oder gar ein Spiel ist. La Scarzuola ist eine Wunderkammer im Freien, ein Denkmal an die Nutzlosigkeit und Schönheit der Kunst, eine erstaunliche Reise zu sich selbst. Wie im Unbewussten und den Träumen ist vieles unvollkommen und ungeheuerlich.

"Genauso leicht, wie man die ideale Stadt dank Tuff errichten konnte, soll man sie wieder niederreißen können", bekräftigt Solari noch einmal. Er lebt seit dem Tod von Buzzi im Jahr 1981 in La Scarzuola und macht persönlich die Führung durch den Ort. (Flaminia Bussotti, 26.11.2015)