Bild nicht mehr verfügbar.

Mehrheitlich junge Burschen, die eine mühevolle Flucht hinter sich haben: jugendliche Schutzsuchende, hier in einer WG der Caritas.

foto: apa/herbert neubauer

Wien – Ob es als Pflegemutter in spe für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling (UMF) ein Nachteil sei, wenn man keine eigenen Kinder habe, will eine Frau in den hinteren Reihen des Saales wissen. Ob es ein Problem sei, wenn man älter als 50 Jahre ist, fragt ein Mann.

"Nein, das sind für uns keine Kriterien", antwortet Martina Reichl-Roßbacher, Leiterin des Referats für Pflege- und Adoptiveltern (Rap) der Wiener Kinder- und Jugendhilfe MA 11: "Für uns ist wichtig zu prüfen, ob Ihr Zeitbudget für diese Aufgabe reicht."

Familiäres Zuhause

Für die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen nach einer mühevollen, oft auch traumatisierenden Flucht in Österreich ein familiäres Zuhause zu geben, meint die Rap-Chefin. Und damit mitzuhelfen, ein zentrales Problem des österreichischen Asylwesens zu entschärfen: den akuten Quartiermangel für unter 18-Jährige, den die heuer hohen Asylantragszahlen von UMFs (bis Ende Oktober waren es 6175 Anträge) weiter zugespitzt haben, ergänzt Katharina Glawischnig vom Dachverband österreichischer Flüchtlings-NGOs, der Asylkoordination, die das Projekt zusammen mit dem Rap trägt.

Ihre Flucht haben besagte Minderjährige ganz allein bewältigt, ohne Eltern oder sonstige Angehörige. "Das sind keine kleinen Kinder, wie sie üblicherweise in Pflege gegeben werden, sondern Kinder mit Verfolgungs- und Trennungserfahrungen", sagt die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits im STANDARD-Gespräch.

Vielfach Pflege auf Zeit

Auch hätten etliche der UMFs daheim noch eigene Eltern, mit denen sie in Kontakt sind. Vielfach wollten sie diese nachholen – und dann meist auch wieder bei ihnen leben. Pinterits: "Es kann sich also durchaus um eine Pflege auf Zeit handeln."

Dennoch, die Bereitschaft ist groß. Das wird in dem übervollen Saal in der Wasnergasse 33 in Wien-Brigittenau klar, wo an diesem Dienstag im November ein erster Info-Abend für potenzielle Wiener Pflegeeltern stattfindet. 106 Interessenten haben sich beim Pflege- und Adoptivelternreferat angemeldet, an die 300 sind gekommen: Männer und Frauen, die meisten aus der Mittelschicht, Hiesige ebenso wie Einwanderer.

97 Prozent Burschen

Die Pflegekinder, so erfahren sie, sind zu 97 Prozent Buben oder Burschen; Mädchen flüchten nur in Ausnahmefällen allein. Zwei Drittel der Minderjährigen kommen aus Afghanistan, ein Drittel aus Syrien, dem Irak, vereinzelte aus Somalia.

Die MA 11 vermittelt Neun- bis 14-Jährige, die bis dahin im Kinderschutzzentrum Drehscheibe leben. Die Aufnahme von 14- bis 18-Jährigen in sogenannte Gastfamilie läuft über den Fonds Soziales Wien (FSW). Die MA 11 hat für alle Minderjährigen die Obsorge. Die Aufgabe der Pflege und Erziehung gibt sie weiter – genauso, wie das bei anderen Pflegekindern ist.

Dreitägiger Kurs

Im Rap müssen die künftigen Pflegeeltern einen dreitägigen Kurs durchlaufen. Dabei, sagt MA-11-Sprecherin Herta Staffa, stelle sich vielfach heraus, dass die Vorstellungen mit der Realität inkompatibel seien: "Viele Interessenten stellen sich ein Mädchen oder gar ein Baby vor. Sie schrecken letztlich zurück."

Bisher gab es in Wien sieben Übernahmen in Pflege, 22 in Gastfamilien. In Wien findet am Mittwoch um 18 Uhr ein weiterer Info-Abend in der Wasnergasse 33 statt, Anmeldung beim Rap ist nötig. Österreichweit laufen in sechs weiteren Bundesländern vergleichbare Aktionen, nur in Kärnten und dem Burgenland bisher nicht. (Irene Brickner, 24.11.2015)