Vatikanstadt – Der Skandal um die Entwendung vertraulicher Dokumente über finanzielle Missstände im Vatikan sorgt täglich für neuen Wirbel. Nach der Eröffnung des Strafverfahrens im Vatikan gegen zwei italienische Enthüllungsjournalisten und drei mutmaßliche Informanten hat eine der Angeklagten – die PR-Agentin Francesca Chaouqui – den inhaftierten spanischen Prälaten Lucio Angel Vallejo Balda angezeigt.

"Fantasievolle Verleumdungen" wirft Chaouqui dem Prälaten vor, berichtete Chaouquis Anwältin Giulia Bongiorno. Der Geistliche schiebt ihr einen Großteil der Verantwortung bei der Zuspielung der Dokumente an die Enthüllungsjournalisten zu.

1.000 Seiten starke Anklage

Balda sitzt seit drei Wochen in einer Zelle der vatikanischen Gendarmerie in Untersuchungshaft. Er und Chaouqui sind mitangeklagt in dem Prozess, der am Montag fortgesetzt wird. Die beiden hatten in der von Papst Franziskus eingerichteten Kommission für die Überprüfung der Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen des Vatikan (Cosea) mitgearbeitet. Insgesamt stehen fünf Personen im Vatikan-Prozess vor Gericht.

Rund 1.000 Seiten umfassen die Unterlagen zur Anklage, darin werden die Gespräche und Verhöre der Angeklagten aufgeführt. Den Angeklagten drohen Haftstrafen zwischen vier und acht Jahren. Außer dem spanischen Priester besitzen alle Angeklagten die italienische Staatsbürgerschaft. Um sie juristisch zu belangen, müsste der Vatikan ein Rechtshilfeersuchen an Italien stellen.

"Verstehen nicht, wofür wir angeklagt werden"

Die Journalisten Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi hatten Anfang November Bücher veröffentlicht, in denen sie dem Vatikan vorwerfen, das Geld der Gläubigen zu verschwenden. Sie stützen sich dabei auf Dokumente aus der Kurie, die ihnen zugespielt worden waren. Der Vatikan verfügt als souveräner Staat über eine eigene Justiz.

"Wir verstehen nicht, wofür wir angeklagt werden", sagte Fittipaldi. Für sein Buch "Avarizia" (Geiz) habe er Beiträge aus verschiedenen Quellen gesammelt. Chaouqui und Balda seien nicht seine einzigen Informanten gewesen. "Mein Buch ist aus einer journalistischen Reportage entstanden, die über ein Jahr lang gedauert hat und teilweise bereits im Nachrichtenmagazin 'L'Espresso' erschienen ist. Ich dachte nicht, dass der Vatikan derart scharf auf mein Buch reagieren würde", sagte Fittipaldi vor Journalisten. (APA, 25.11.2015)