"Erdogan ist ein Mörder", "die Türkei ist der IS" – russische Demonstranten klebten am Mittwoch eigene Protestnoten an die Wand der türkischen Botschaft in Moskau. Später gab es Ausschreitungen.

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Mehrere Scheiben gingen zu Bruch, als Demonstranten die türkische Botschaft in Moskau mit Steinen, Eiern, Farbpaketen und Papierfliegern bewarfen. In der Großstadt Uljanowsk bekam die türkische Brauerei Efes den Volkszorn zu spüren: 70 junge Männer forderten die Herausgabe der türkischen Flagge über der Fabrik, die dann anschließend ebenfalls mit Eiern beworfen wurde.

Nach dem Abschuss eines russischen SU-24-Jagdbombers an der syrisch-türkischen Grenze gibt es nicht nur bei den einfachen Russen Vergeltungsgelüste: Auch die russische Regierung zeigte den Türken hinsichtlich Gesprächsangeboten die kalte Schulter. Außenminister Sergej Lawrow sprach von einem "gezielten Hinterhalt". Meldungen Ankaras nach einem vereinbarten Treffen wies er zurück. Der überlebende russische Pilot bestreitet, vor dem Abschuss optisch oder per Funk von der Türkei gewarnt worden zu sein.

Die türkische Armee veröffentliche später eine Sprachaufnahme, bei der es sich um den Funkspruch an die Piloten handeln soll. Darauf ist die mehrmalige Warnung zu hören, nach Süden abzudrehen.

Energieprojekte fraglich

Premier Dmitri Medwedew, der Ankara erneut den illegalen Handel mit Öl der Terrormiliz IS vorwarf, bezeichnete die Beziehungen beider Länder, unter anderem in der Wirtschaft und im humanitären Bereich, als zerstört. "Direkte Folge kann der Verzicht auf eine Reihe wichtiger Gemeinschaftsprojekte sein", türkischen Unternehmen drohe der Verlust des russischen Markts, sagte er.

Medwedew spielt damit auf das Pipelineprojekt Turkstream an, das freilich zuletzt ohnehin zurechtgestutzt wurde – von seiner ursprünglichen Kapazität über 63 Milliarden Kubikmeter blieben 32 Milliarden übrig. Die Türkei hängt zu 60 Prozent von russischem Gas ab. Unklar ist auch die Zukunft eines mit russischer Hilfe geplanten Atomkraftwerks in der Türkei.

Im Prinzip ist der gesamte Waren- und Dienstleistungsaustausch – etwa 44 Milliarden Dollar (41,5 Milliarden Euro) – infrage gestellt: Als Erstes wurde bereits die Tourismusbranche getroffen. Das Reiseverbot des russischen Außenministeriums trifft Ankara empfindlich. 2014 ließen russische Urlauber immerhin 3,5 Milliarden Dollar in der Türkei. Die militärisch-technische Zusammenarbeit ist ohnehin eingestellt.

Daneben drohen auch den türkischen Lebensmittelhändlern Probleme.

Aber auch für Russland hat das Agieren im Syrien-Konflik Konsequenzen: Die USA verschärfen nun ihren Sanktionskurs gegen Russland. Wegen Unterstützung der syrischen Regierung würden Strafmaßnahmen gegen die russische Financial Alliance Bank verhängt, teilte das US-Finanzministerium am Mittwoch mit. Zeitgleich äußerten US-Außenminister John Kerry und EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in einem Telefonat mit Lawrow ihre Besorgnis. (André Ballin, 25.11.2015)