Kabul/Washington – Die USA haben beim Luftangriff auf ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen im afghanischen Kunduz schwere Fehler eingeräumt. Der Angriff sei "eine direkte Folge menschlichen Versagens" gewesen, sagte der Befehlshaber der US-Streitkräfte in Afghanistan, John Campbell, am Mittwoch. Das eigentliche Ziel sei ein Gebäude mit Aufständischen gewesen.

Bei dem Angriff am 3. Oktober waren mindestens 30 Menschen getötet worden, unter ihnen 14 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. Der Vorfall sorgte international für Empörung. Campbell legte nun den Abschlussbericht des Pentagons vor. Die Klinik sei "fälschlicherweise als Ziel identifiziert" worden, sagte er. Eigentlich sollte demnach ein hunderte Meter entferntes Gebäude bombardiert werden.

Soldaten suspendiert

"Die Einsatzkräfte, die den Luftangriff anforderten, und diejenigen, die ihn ausführten, haben keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um zu überprüfen, ob das Gebäude ein legitimes militärisches Ziel war", erklärte Campbell. Die für den Angriff verantwortlichen Soldaten seien vom Dienst suspendiert worden. "Wir haben aus diesem schrecklichen Vorfall gelernt", so der US-General. Auf Grundlage des Berichts würden disziplinarische Maßnahmen eingeleitet.

Auch der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte sich am Mittwoch erneut zu dem Angriff. "Solche Fehler können und sollten vermieden werden", sagte er. Der Vorfall verdeutliche aber auch "auf schmerzhafte Weise die Kosten eines Krieges, der von Terroristengruppen und anderen Feinden Afghanistans angezettelt wurde".

"Kollateralschaden"

Nach dem Angriff waren stark voneinander abweichende Erklärungsversuche geäußert worden. Zunächst hatte die Nato von einem "Kollateralschaden" gesprochen, der bei einer Intervention zugunsten angegriffener afghanischer Einheiten entstanden sei. Campbell hatte erst auf einen Hilferuf afghanischer Kräfte hingewiesen, bevor er einräumte, dass es einen Kontakt zwischen US-Sondereinheiten und dem angreifenden Flugzeug gab. US-Präsident Barack Obama gestand schließlich in einem Telefonat mit der Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen, Joanne Liu, dass es sich um einen Fehler gehandelt habe, für den er sich entschuldigte.

Ärzte ohne Grenzen verlangte eine internationale Untersuchung und erklärte, es handle sich um ein Kriegsverbrechen. Die Nato und die afghanische Armee leiteten eigene Untersuchungen ein. Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen war die Lage des Krankenhauses allen Konfliktparteien bekannt. Die afghanischen und die US-Streitkräfte waren demnach über die GPS-Koordinaten des Spitals informiert, das seit vier Jahren in Betrieb war. Es handelte sich um die einzige Klinik im Nordosten Afghanistans, die schwere Kriegsverletzungen behandeln konnte.

Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen wurden zum Zeitpunkt des Angriffs 105 Patienten behandelt, darunter verletzte Taliban-Kämpfer, aber auch Frauen und Kinder. Die Organisation erklärte, dass auch verwundete Taliban-Kämpfer nach dem Völkerrecht als Patienten geschützt seien. Sie müssten ohne Diskriminierung behandelt und dürften nicht angegriffen werden. Auf dem Krankenhausgelände seien weder bewaffnete Kämpfer gewesen, noch habe es auf dem Gelände oder von diesem aus Kampfhandlungen gegeben. (APA, 25.11.2015)