Ein Schuldenexzess der Sonderklasse und die schwächelnde Weltkonjunktur könnten die Schuldenblase zum Platzen bringen.

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Es krachte 2001, es krachte 2008. 2015 war in Crash-Maßstäben betrachtet wieder ein siebtes Jahr, wenngleich kein verflixtes. Abgesehen von einigen Rumplern blieben die Finanzmärkte weitgehend verschont. Was aber nichts daran ändert, dass die Fahrt auf der Hochschaubahn immer atemberaubender wird. Die Warnungen vor einem Zusammenbruch des Finanzsystems werden jedenfalls immer lauter. Und sie kommen nicht nur aus dem Munde von Weltuntergangspropheten, sondern zusehends von Institutionen, die nicht gerade im Verdacht stehen, unbegründet Ängste zu schüren. Währungsfonds, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und hochrangige Ökonomen zählen zu jenen, die auf das heranziehende Gewitter hinweisen.

Tatsächlich wird das Gerüst der Kapitalmärkte immer wackeliger, billionenschwere Liquiditätsspritzen unterspülen es, ein Schuldenexzess der Sonderklasse rüttelt gefährlich an den Pfeilern. Hohe Bewertungen an Bond- wie Aktienmärkten deuten auf eine Blase hin, die schwächelnde Weltkonjunktur sorgt für zusätzliche Instabilität. Bricht das Kartenhaus zusammen?

Geldschwemme

Der Internationale Währungsfonds hat erst im Oktober in seinem Finanzstabilitätsbericht beunruhigende Worte ausgesprochen. Er verweist auf die von den Notenbanken verursachte Geldschwemme, die längst die Schwellenländer überflutet und zu Asset- und Schuldenblasen geführt hat. Allein die Dollar-Finanzierungen in den Emerging Markets haben sich seit 2009 auf drei Billionen Dollar verdoppelt. Schocks könnten sowohl von Industrie- als auch von Schwellenländern ausgehen, die globalen Märkte zum Bersten bringen und die Liquidität austrocknen. Das klingt stark nach einer drohenden Panik, die man vom Zusammenbruch von Lehman Brothers in schlechtester Erinnerung hat.

In die gleiche Kerbe schlägt die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ), die sich in den Jahren vor dem Finanzmarktkollaps 2008 als energische Kassandraruferin hervorgetan hat. Die BIZ kritisiert vor allem ihre "Mitglieder", die Notenbanken, denen sie Geldschwemme und Niedrigzinsen vorhält. Fehlallokationen verstärken ihrer Meinung nach die Boom-Bust-Zyklen, soll heißen: Der Aufschwung wird durch den ständigen Zufluss von Geld überhitzt, bis die Blase platzt.

Falsche Verteilung

Danach sorgt die auf Hochtouren laufende Notenpresse zur Vermeidung eines noch tieferen Absturzes für eine ökonomisch falsche Verteilung der Mittel. Vereinfacht gesagt: Es werden Unterfangen oder Veranlagungen finanziert, die nur wegen Überliquidität und Nullzins rentabel sind. Während sich die Wirtschaftsdaten nach dem Crash scheinbar erholen, wachsen die strukturellen Probleme. Die Fehlallokation ist im Abschwung drei Mal so groß wie im Aufschwung, hat die BIZ festgestellt.

Der seit sieben Jahren anhaltende Gelddruck- und Nullzins-Modus der Notenbanken hat auch die Kreditmärkte ordentlich befeuert, wodurch die weltweiten Schulden ungeahnte Höhen erreichten. Allein die USA kommen – Staat, Unternehmen und Verbraucher zusammengerechnet – auf ausstehende Anleihen von 3500 Milliarden Dollar (Bankenkredite und andere Verbindlichkeiten sind da noch gar nicht inkludiert). Das ist ungefähr das dreifache Volumen Japans, das ja bei den Staatsschulden die rote Laterne hat. Beim Obligo in Prozent der Wirtschaftsleistung hat Nippon freilich die Nase vorn.

Schulden vervierfacht

Wie zerbrechlich das Gefüge ist, zeigt schon die Finanzierung der US-Staatsschulden. China, Russland und andere Staaten warfen heuer hohe Bestände an US-Treasuries aus ihren Portfolios. Sollte sich das Tempo beschleunigen, würden die Risikoprämien gefährlich anspringen und sowohl Staatshaushalt als auch private Schuldner in arge Bedrängnis bringen.

Auch die Schwellenländer haben bei der Kreditaufnahme auf den Putz gehaut: Laut IWF vervierfachte sich die private Verschuldung in den letzten zehn Jahren. Allein schon diese Zahlen zeigen, wie schwer eine Rückkehr zu einer Normalisierung der Geldpolitik ist. Staaten, Unternehmen und Verbraucher würden von steigenden Zinsen hart getroffen, ein Pleiten-Dominoeffekt wird befürchtet, wie der IWF kürzlich warnte.

Auch die zu erwartenden Bewegungen an den Anleihenmärkten klingen bedrohlich. Notverkäufe, Anstieg der Risikoprämien, Kollaps der Assetpreise ... all diese Gefahren spricht der Fonds an, wenn die Notenbanken ihre expansive Politik zurückfahren sollten. Womit der IWF ein wenig der Henne-Ei-Problematik verfällt. Einerseits kritisiert er die von der Geldschwemme ausgehenden Risiken, andererseits warnt er vor Turbulenzen an den Finanzmärkten, sollten die Notenbank die Zügel zu früh straffen.

Immer klarer erscheint indes, dass die Weltkonjunktur trotz der gewaltigen Liquiditätsspritzen erlahmt. Die Schwäche der Schwellenländer, mit Brasilien und Russland in der Rezession und China auf dem Weg zu niedrigeren Wachstumsraten, dämpft die Exporte der Industriestaaten. Japan rutschte zuletzt trotz milliardenschwerer Notenbank- und Konjunkturstützen wieder in die Rezession. Die Prognosen für nächstes Jahr sagen zwar noch ein Wachstum der Weltwirtschaft von mehr als drei Prozent voraus, doch einige Ökonomen sind skeptischer. Willem Buiter, angesehener Chefvolkswirt der Citigroup, hält einen Rückfall in die Rezession für wahrscheinlich.

Dr. Doom reitet wieder

Auch Nouriel Roubini hat sich in der Debatte über die Gefahrenherde der Weltwirtschaft kürzlich zu Wort gemeldet. Dr. Doom, wie der Ökonom wegen seiner pessimistischen Prognosen gern genannt wird, hält trotz der Geldflut paradoxerweise eine drohende Illiquidität an den Märkten für eine große Bedrohung. Sein Punkt: Banken haben sich als sogenannte Market-Maker, die den Handel pflegen und Kurse stellen, zurückgezogen.

Vor allem der Anleihenhandel findet laut Roubini immer häufiger nicht an stark frequentierten Börsen statt – wie das bei Aktien der Fall ist -, sondern wird direkt von Geschäftspartnern "over the counter" abgewickelt. Diese Märkte seien ziemlich illiquid, dazu kommt, dass offene Fonds eine große Rolle spielen. Hier können Anleger jederzeit ihr Geld abziehen. Das würde die Preise im Falle eines Schocks besonders rapide abstürzen lassen. Zur wachsenden Illiquidität leiste auch der wachsende Hochfrequenzhandel, bei dem riesige Volumina via Computer in Millisekunden verschoben werden, einen Beitrag, schrieb Roubini im "Guardian".

Nach seiner Darstellung könnte ein Funken reichen – beispielsweise Signale eines frühen Drehens an der Zinsschraube durch die US-Notenbank –, um eine Explosion an den Märkten auszulösen. Investoren müssten ihre Vermögenswerte dann sehr schnell abstoßen, was aufgrund der Marktenge kaum möglich sei. Die Liquidität-Zeitbombe, wie Roubini meint, tickt. Von Konjunktur-, Währungs- oder Zinsschwankungen ausgehende Schocks könnten das Kartenhaus zum Einsturz bringen. Wird diesmal das achte zum verflixten Jahr? (Andreas Schnauder, Portfolio, 16.12.2015)