Zentralbanker sind in der freien Wildbahn ein recht scheues Völkchen, vor allem in Europa. Der hier heimische OeNB-General gehört dem Vernehmen nach noch eher zu den gesprächigeren Vertretern seiner Spezies. Im Wissen, dass ihre Aussagen von immensem Gewicht sind, die in Sekunden jedwede Märkte explodieren lassen können, wählen sie ihre Worte mit Bedacht – oder schweigen.
Um so verwunderter war die Fachwelt, als die Bank of England, vertreten durch ihren obersten Chef Mark Carney, bei einem Dinner vor Versicherungsexperten eine Salve abfeuerte, deren volle Brisanz die Welt des Geldes seit Monaten noch immer zu verdauen versucht: Der Mann warnte die Versicherungswirtschaft nämlich in drastischen Worten vor Investments in fossile Energien. Diese könnten, so BoE-Boss Carney, recht rasch zu "gestrandeten Assets" werden – also einen massiven Wertverlust einfahren.
Wie der Brite darauf kommt, ist einfach erklärt: Die Umsetzung der Klimaziele, die den weltweiten Temperaturanstieg als Folge der Vereinbarungen des Kopenhagener Klimagipfels bei zwei Grad Celsius einfrieren wollen, würde bedingen, dass fossile Energieträger, die allen gegensätzlichen Prognosen zum Trotz noch immer in rauen Mengen vorhanden sind, im Extremfall einfach nicht mehr gefördert oder zumindest nicht verfeuert werden dürfen.
Temperaturanstieg
Nach dem Konzept des UN-Klimarats dürfen nämlich bis 2050 nur noch maximal ein Drittel der Ölreserven und nur ein Fünftel der verfügbaren Kohle verbrannt werden, um überhaupt die Chance zu wahren, dass die globale Durchschnittstemperatur nicht über ebendiese – als noch beherrschbar geltenden – zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigt. Oder andersherum formuliert: 80 Prozent der heute bekannten Kohle-, Öl- und Gasvorräte müssten unangetastet bleiben. Oder wieder anders dargestellt: Noch 565 Milliarden Tonnen CO2 – dann ist Schluss.
Veranlagungen in Unternehmen im Bereich der "Fossilen" würden in diesem Szenario so gut wie wertlos, denn wer dann nämlich Aktien von zum Beispiel BP im Portfolio hat, besitzt Anteile an einem Unternehmen, das nicht verkehrsfähige Produkte hortet – kein Umsatz, kein Gewinn, nada, nix. Entsprechende dramatische Auswirkungen auf Volkswirtschaften, die auf die Ausbeutung von Energieträgern ausgerichtet sind, wären damit die logische Folge.
Den Dinnergästen blieb da sicher der Bissen im Halse stecken, sitzen doch allein die britischen Versicherer auf Assets in der Höhe von bis zu 2,5 Billionen Pfund (3,53 Billionen Euro) in Energieunternehmen, die emsig fossile Energie fördern – also vor allem Öl und Gas.
Weltweit wird der Wert dieser Reserven vom Carbon Tracker & Grantham Institute auf rund 25 Billionen Euro geschätzt – das reicht locker für mehrere Finanzkrisen. Leider würde das, was allein die 100 führenden Kohle-, Erdöl- und Gasfirmen noch unter der Erde halten, so man es verfeuern würde, auch 565 Milliarden Tonnen CO2 Emissionen freisetzen – eindeutig zu viel also, um die Klimaziele einzuhalten.
Besonders die Inselnation hat hier mit negativen Folgen zu rechnen, denn allein von den im britischen Leitindex FTSE gelisteten Unternehmen holen fast ein Drittel ihren Umsatz und Profit aus dem Umgang mit fossilen Rohstoffen.
Große Investmenthäuser wie Citigroup oder HSBC haben die Gefahr bereits erkannt – sie halten einen drastischen Absturz der Börsenkurse großer Erdölkonzerne in den nächsten Jahren für durchaus denkbar. HSBC geht gar von Verlusten von bis zu 60 Prozent der Unternehmenswerte aus.
Und es würde nicht nur alle Energieunternehmen treffen, die auf Kohlenstoff setzen, sondern im zweiten Schritt auch alle Banken, Versicherungen und Pensionsfonds, die Anteile an derartigen Unternehmen halten. Der Verlust könnte allein im Euroraum 350 bis 400 Milliarden Euro betragen, schätzen Experten. In Österreich stünden 28 bis 30 Milliarden Euro im Feuer.
Raus aus den "Fossilen"
Doch diesmal ist die Finanzbranche vor der "carbon bubble" auf der Hut – der Rückzug aus den "Fossilen" läuft schon seit mehreren Jahren: Divestment heißt das Zauberwort.
Die Bewegung hat ihren Anfang in den USA genommen, wo der Fachartikel "Global Warming's Terrifying New Math" des Autors Bill McKibben im Sommer 2012 an unerwarteter Stelle, nämlich im "Rolling Stone"-Magazin, für Aufsehen sorgte. Seit damals formieren sich immer mehr Befürworter der Divestmentbewegung, die versuchen, Städte, Gemeinden, Renten- und Pensionskassen, Hochschulen, Kirchen und andere öffentliche Investoren zum Ausstieg aus Veranlagungen in die Karbonindustrie zu bewegen.
Wenn man auf der anderen Seite die Leugner des Klimawandels wie den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump beobachtet, fällt einem unweigerlich das Wort Winston Churchills ein: "Auf eines kann man sich immer verlassen: nämlich, dass die Amerikaner immer das Richtige tun werden – nachdem sie vorher alles andere versucht haben."
Die Welle rollt jedenfalls, wie eine Studie zeigt: Laut einer aktuellen Untersuchung des US-Investmenthauses Arabella Advisors haben sich bis Ende Oktober 436 institutionelle und Tausende private Anleger, die ein Gesamtvolumen von umgerechnet 2,3 Billionen Euro repräsentieren, dazu bekannt, sich aus Investitionen in fossiler Energie zurückzuziehen.
Schon 2014 zog der Rockefeller Brothers Fund sein Vermögen in der Höhe von rund 780 Millionen Euro vollständig aus Unternehmen der fossilen Energien ab – Stammvater John D. Rockefeller machte sein Vermögen übrigens einst mit Öl. In Summe haben bis dato Stiftungen, Pensionskassen und andere Vermögensverwalter mit einem Gesamtvermögen von mehr als 40 Milliarden Euro den Ausstieg verkündet.
Lektion gelernt
Und nach der großen Dürre, zahlreichen Tornados – allein Anfang November zogen zehn Stück an einem Tag durch die Tornado Alley – und Hurricanes bis nach New York mit Schäden in astronomischer Höhe haben Politiker wie der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio ihre Lektion gelernt: "Es ist höchste Zeit, unsere Investments auf den neuesten Stand zu bringen", gab er die Richtung nach Hurrikan Sandy für die städtischen Pensionsfonds vor. "Und mit dem Kohledivestment fangen wir an."
Und selbst notorische Klimaänderungsleugner oder jene unter den aufstrebenden Staaten, denen dies bis dato egal war, kommen nun unter Druck: So schlägt China, das bis jetzt das Wachstum vor den Klimaschutz stellte – mit dem Argument "wir machen Umweltschutz, wenn wir uns das leisten können, schließlich hat es der Westen genauso gemacht" -, eine neue Richtung ein.
Auslöser sind massive Dürren im Norden des Landes und steigende Gesundheitskosten, verursacht durch klimabezogene Erkrankungen. Kohlekraftwerke sollen nach dem Willen von Präsident Xi Jinping sukzessive geschlossen oder mit Umweltschutzmaßnahmen aufgerüstet werden. Raus aus dem Karbon also. Und wer an die verstörenden, rauchumnebelten Bilder anlässlich der Olympischen Spiele denkt, kann ermessen, welches Potenzial an Verbesserungen sich hier auftut.
Veränderungen zur Erreichung der Klimaziele
Auch in Indien, das lange Zeit eine ähnliche Linie wie das Reich der Mitte verfolgte, deutet sich nach der verheerenden Dürre in Andra Pradesh mehr Verständnis für Klimabelange an. So haben die Verantwortlichen beider Länder für die Klimakonferenz in Paris im Dezember massive Veränderungen zugunsten der Erreichung der Klimaziele angekündigt.
Dass US-Präsident Barack Obama das "Aus" für die jahrelang umstrittene Keystone-Pipeline verkündete, ist übrigens ebenfalls eine Folge des verstärkten Augenmerks auf den Klimaschutz. Auch Starinvestor Warren Buffett hat sich von seinen Exxon-Anteilen getrennt, und der riesige staatliche norwegische Pensionsfonds, der rund 766 Milliarden Euro verwaltet, will aus den "Fossilen" aussteigen. Analysten meinen, dass allein von diesem Schritt weltweit bis zu 75 Unternehmen betroffen sein könnten.
Viel Geld wird bereits jetzt umgeschichtet: Große Versicherer wie die Allianz setzen auch in Österreich auf Veranlagungen in erneuerbare Energien – "Grün" ist schließlich auch "The Colour of Money". In Deutschland hat der Mutterkonzern der Assekuranz bereits 1,8 Milliarden Euro in erneuerbare Energien gesteckt.
Diese Umschichtungen bieten nicht nur Anlagepotenzial für Versicherer – grün investieren kann jeder. Wer Einzelaktien scheut, ist mit Fonds gut bedient. Vor allem jene, die ihr Geld nach ethisch-nachhaltigen Grundsätzen veranlagen, sind bei der Rendite zumindest gleich stark wie ihre "schmutzigen" Kollegen. Und Studien wie jene der Universität Oxford mit dem Titel "From the Stockholder to the Stakeholder" zeigen, dass Unternehmen mit hohen Nachhaltigkeitsstandards auch tendenziell besser wirtschaften.
Opfer der Carbonblase
Nicht überall wird das Divestment friktionsfrei ablaufen, sind doch von den zehn größten Unternehmen der Welt gleich sieben im Bereich Erdöl und Gas tätig, die natürliche Opfer der "carbon bubble" wären. Und ob sich der Ölpreis in diesem Szenario jemals wieder zu alten Höhen aufschwingen können wird, ist fraglich. Öl- oder Gasaktien eignen sich daher wohl nicht mehr als Geschenk zu Weihnachten. Und zu Ostern auch nicht. (Reinhard Krémer, Portfolio, 20.12.2015)