PRO: Nötigung unterbinden

von Conrad Seidl

Nichts gegen heilige Bücher, nichts gegen hohe Literatur, nicht einmal etwas gegen Pornos – für all diese Druckwerke gibt es Platz. Für die heiligen Schriften ist dieser Platz das Gotteshaus der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Für Literatur gibt es Buchhandlungen, für Pornos Sexshops. Wer will, findet das alles auch im Internet. Auf der Straße will man das aber nicht unbedingt aufgedrängt bekommen.

Das ist im besten Fall lästig – man kennt das Ärgernis, das die elenden Drückerkolonnen kommerziell agierender Umweltorganisationen bedeuten, und man erinnert sich an etliche Sekten, die unbedarften Passanten ihre Missionierungsschriften in die Hand drücken. Im schlimmsten Fall ist es eine Nötigung – für diejenigen, die bedrängt werden, sich dem angeblich richtigen Glauben zuzuwenden.

Und genau das passiert in letzter Zeit immer häufiger: Die mehr oder weniger freundlichen Männer, die einem den Koran in die Hand drücken, wollen gezielt Menschen aus unserer Zivilgesellschaft herauslösen und sie zu einem strengen Glaubensbekenntnis verpflichten. Es ist kein Zufall, dass sie die Werbung für ihre Religion ausgerechnet dort betreiben, wo viele Flüchtlinge sind. Und es ist auch kein Zufall, dass diese Werbung nicht auf die Lektüre des Koran, sondern auf die Abkehr von Muslimen von unserer liberalen Gesellschaft zielt. Dies zu verbieten ist eine angemessene Reaktion dieser Gesellschaft. (Conrad Seidl, 26.11.2015)

KONTRA: Verbot bedeutet Willkür

von Gerald John

Kein Zweifel: Die bärtigen Männer, die regelmäßig in Städten gratis Koranausgaben verteilen, sind keine liberalen Freigeister. Zwar distanzieren sich die Aktivisten wortreich von Terror und Radikalismus; doch wer gleichzeitig Broschüren auflegt, laut denen Ungläubigen das "Höllenfeuer" droht, verbreitet die Saat der Intoleranz.

Trotzdem wäre ein Verbot der Werbeaktion falsch. Österreich ist immer noch ein Rechtsstaat: Solange die Polizei keine Straftat, etwa eine Rekrutierung für den "Jihad", belegen kann, läuft ein Bann auf Willkür mit gefährlicher Vorbildwirkung hinaus. Ist diese Grenze erst überschritten, könnte die Staatsgewalt Geschmack daran finden, unerwünschte Botschaften aus der Öffentlichkeit zu radieren.

Aus der Welt schaffen könnte ein Verbot das Problem ohnehin nicht. Islamisten würden wie schon bisher im Internet und in Kellermoscheen Kontakte knüpfen und hätten dabei noch ein neues Argument zur Hand, um Muslime in die ewige Opferrolle zu rücken: dass es der Westen mit hehren Werten wie Meinungsfreiheit nicht so genau nimmt, wenn es um den Islam geht.

Ob die Radikalen damit Erfolg haben, hängt nicht vom Schicksal von ein paar Koranständen ab. Kein jihadistischer Rekrutierer wird so blöd sein, mitten auf der Wiener Mariahilfer Straße, womöglich vor den Augen verdeckter Ermittler, ein Ticket nach Syrien auszustellen. (Gerald John, 26.11.2015)