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Swatting-Vorfall in den USA.

Foto: AP/Staubitser

Schwerbewaffnete Polizisten, die in Erwartung eines schlimmen Zwischenfalls auf unschuldige Familien treffen – das bedeutet Chaos, Gefahr und in späterer Folge oft Traumatisierung. Genau das wollen Internet-Trolle mit dem sogenannten "Swatting" erreichen, das nach der US-Polizeisondereinheit "Swat Team" benannt ist. Die Übeltäter hetzen ihren Opfern die Polizei an den Hals indem sie angeben, dass in deren Zuhause ein schlimmes Verbrechen geschehe – beispielsweise eine Geiselnahme oder ein Amoklauf. Da die Polizei sich dann für den schlimmsten Fall rüstet, tauchen militarisierte Spezialeinheiten an der Adresse auf und überraschen die nichtsahnenden Opfer.

Trend unter Gamern

Besonders in der Gaming-Community ist dieser Trend zusehends populär geworden. Trolle machen sich etwa einen Jux daraus, Swatting bei Spielern, die online streamen, live mitzuverfolgen. Der Gaming-Videostreaming-Dienst Twitch gilt als Tummelplatz für Übeltäter. Dort nahm auch einer der spektakulärsten Swatting-Fälle der vergangenen Jahre seinen Ausgang, über den die New York Times nun im Detail berichtet. Mindestens 23 Frauen sollen von einem damals 16-jährigen Kanadier mit dem Pseudonym Obnoxious bedroht worden sein, womöglich ist sogar eine dreistellige Anzahl an Gamerinnen betroffen.

Social Engineering

Obnoxious radikalisierte sich dabei immer mehr. Er belästigte junge Frauen, die auf Twitch aktiv waren und zwang sie dazu, mit ihm via Skype zu chatten. Darauf folgten Pizza-Bestellungen an deren Adresse, schließlich kam es zum Swatting. Die Adressen seiner Opfer erlangte Obnoxious durch Social Engineering: So gab er sich als Technikmitarbeiter oder Familienmitglied aus, das bei Amazon oder Internet-Providern die Kundendaten seiner Opfer einsehen wollte. Mit VPN und anderen Anonymisierungsmitteln verschleierte er seinen Standort, sodass Strafbehörden monatelang nach ihm suchten.

Verkorkste Kindheit

Eine 22-jährige Spielerin, von der "New York Times" als "K" bezeichnet, hat viel mit dem Hacker gechattet. Ihr gegenüber erzählte Obnoxious, dass er in Kanada lebe und von seinem Vater missbraucht worden sei. Offenbar war der Jugendliche schwer depressiv, wiederholt stellte er seinen Suizid in den Raum. "K" begann, Mitleid mit ihm zu haben. Doch dann erpresste der Hacker sie und zwang sie, Nacktfotos von sich zu machen. Wurde ihm nicht Folge geleistet, drohte er mit Swatting.

Schwierige Verfolgung

Behörden tun sich nach wie vor schwer damit, "Swatting" als Tatbestand einzuordnen. Handelt es sich um Cyberterrorismus? Mobbing? Betrug? Da die Täter technisch auch noch schwer aufzuspüren sind, belassen es die meisten Strafverfolgungsbehörden bei einer Aktennotiz. Langwierige Ermittlungen werden meist nicht vorgenommen. So war es auch im Fall Obnoxious, der dutzende Swattings verursacht haben soll. Ein einziger Ermittler heftete sich an dessen Fersen: B. A. Finley suchte mehr als ein Jahr lang nach Hinweisen zu Obnoxious' Identität. Über tausend Stunden verbrachte er damit, bevor das FBI ihm half.

Traumata

Obnoxious' Opfer litten unterdessen an den Spätfolgen des Swattings: Sie konnten nur mehr schlecht schlafen, stellten teilweise ihre Streaming-Aktivitäten ein und begannen, vom Gaming Abstand zu nehmen. Teilweise stießen sie auch aufgrund ihrer Rolle als weiblicher Spieler auf Unverständnis, wurden also an der Tat mitschuldig gemacht. Doch einige wollen nicht aufgeben: Janet, die eines der ersten Opfer des Hackers war, kann mittlerweile sogar von ihren Aktivitäten auf Twitch leben. Obnoxious wurde hingegen vor rund einem Jahr festgenommen. Die Ermittlungen bestätigten seine schwierige Kindheit. Im März wird er nach einer 16-monatigen Haftstrafe entlassen werden. (red, 27.11.2015)