Wir können es schaffen!
Energieexperte Andreas Veigl hält Nachhaltigkeit für möglich
Österreich kann vollständig auf erneuerbare Energie umstellen, sagt Andreas Veigl. "Und das mit absehbarer Technik. Wir müssen dafür nicht auf eine große technologische Revolution warten." Der Energieexperte hat heuer im Auftrag der Umweltorganisationen Global 2000, WWF und Greenpeace ein Energieszenario für Österreich bis 2050 erstellt. Ergebnis der Studie: Ja, wir können unseren Bedarf aus erneuerbaren Quellen decken und dennoch unabhängig von ausländischen Energielieferanten sein.
An diesem Ja hängen allerdings mehrere Wenns: Es ist möglich, wenn wir es schaffen, unseren Energieverbrauch um die Hälfte zu reduzieren. Wenn die Industrie deutlich energieeffizienter wird. Wenn ein großer Teil des Güterverkehrs auf die Schiene kommt. Wenn Gebäude hohen Energiestandards entsprechen.
Die technischen Bedingungen seien gegeben oder in absehbarer Zeit vorhanden. Für eine Umsetzung fehlen andere Dinge: "Es braucht eine Übereinkunft über einen wirklich langfristigen Weg, den man sich traut zu gehen, an dem man festhält und der für künftige Entscheidungen als Orientierung dient", sagt Veigl.
Es brauche etwa eine adäquate Kohlenstoffbepreisung, die die gesamten Folgekosten, die konventionelle Energieträger verursachen, miteinbezieht. Europas Industrie solle eine Vorreiterrolle als Innovationstreiber einnehmen – im Jahr 2050 sind die Hochöfen der Voest, die aus Eisen Stahl machen, dann vielleicht von Koks auf Wasserstoff umgestellt. Strom-, Gas- und Fernwärmenetze müssten verschränkt werden, Umwandlungsmethoden wie Power-to-Gas sollen ermöglichen, das Netz als Energiespeicher zu verwenden.
Der Klimaschutz dürfe aber nicht zum Industrievertreibungsprogramm mutieren: "Die internationale Wettbewerbsfähigkeit muss gewahrt bleiben. Deshalb sind die Abkommen wie jenes, das in Paris verabschiedet werden soll, so wichtig – auch wenn die Vereinbarung allein nicht ausreicht, um die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen."
Das Potenzial der Erneuerbaren sei nicht zu Ende, wenn die wirtschaftlichsten Standorte belegt sind. Dann kämen eben die nächstbesten Plätze an die Reihe. An die Sichtbarkeit von Wind- und Solarkraft müsse man sich gewöhnen. Sie brauchen Fläche, und man kann sie nicht wegsperren wie ein Kohlekraftwerk. Im Gegenzug, erläutert Veigl, winkt immerhin eine neue regionale Wertschöpfung in Milliardenhöhe, die sonst an ausländische Energieversorger gehen würde. Allerdings gebe es auch ökologische Grenzen für die erneuerbaren Energien. "Man kann nicht die ganze Landwirtschaft für Biomasseerzeugung nutzen oder im Solarbereich laufend Freiflächenanlagen bauen."
Die Struktur des Stromnetzes müsse zudem umgekrempelt werden, weg vom reinen Versorgungs- hin zu einem Sammelnetz. Heute werde die Energie zentraler Kraftwerke über mehrere Spannungsebenen dem Verbraucher zugeführt. "Die Herausforderung ist, auch auf den niedrigeren Ebenen einspeisen zu können."
Und was ist mit der Kritik, dass die Produktion von CO2-sparender Technik wie Autoakkus erst recht die Umwelt schädigt? "Ich verstehe nicht, warum das gerade bei erneuerbaren Energien ein größeres Problem sein soll als bei anderen Techniken", sagt Veigl. "Lebenszyklusanalysen der Elektromobilität zeigen, dass es zu einer Verbesserung kommt." Man müsse auch lernen, die Ressourcen nachhaltig zu beschaffen oder im Kreis zu führen.
"Auch das Verhalten muss sich ändern"
Es sei aber ohnehin zu kurz gegriffen, wenn man glaubt, dass man den Individualverkehr einfach mit Elektroautos ersetzen könne. Oder dass man Klimaschutz generell nur mithilfe von Technik betreiben kann. Die Veränderungen müssen viel weitreichender sein, und sie schließen das menschliche Verhalten mit ein. Veigl: "Wenn wir das Klima nur durch Verzicht retten wollen, haben wir ein Problem. Dennoch müssen wir unser Wirtschafts- und Wachstumsparadigma, unseren Lebens- und Arbeitsstil, unsere materielle Fixierung überdenken. Man kann den Klimawandel auch als Indiz für grundlegendere Probleme des menschlichen Zusammenlebens nehmen."
Es gibt keine Energiewende!
Die Energiezukunft in den Augen des Physikers Werner Gruber
"Ich kann den Begriff nachhaltig nicht mehr hören", sagt der Physiker Werner Gruber. "Ich finde den Begriff überstrapaziert und unsinnig." Die Planung unseres Energiehaushalts soll vor allem eines: "Sinn ergeben". Je langfristiger man denke, desto schwerer werde das.
Alle sprechen von einer Energiewende. Gruber, bekannter Volksbildner und Leiter des Planetarium Wien, der Kuffner- und der Urania-Sternwarte, hat einen eindeutigen Standpunkt, was die Umstellung auf Wind- und Solarenergie, die Dezentralisierung des europäischen Stromnetzes oder die Entwicklung neuer Elektrizitätsspeichermedien angeht. Nämlich: "Es gibt keine Energiewende." Zumindest keine, die auf den genannten Technologien aufbaut.
"Was wir haben – und das ist sehr positiv – ist Elektrizität aus Solar- und Windenergie in Österreich in einer Größenordnung von acht bis zehn Prozent. In Deutschland sind es fast 20 Prozent", rechnet der Physiker vor. "In beiden Ländern sind wir diesbezüglich am Limit. In Deutschland ist bisher noch kein Atomreaktor abgeschaltet worden. Gleichzeitig werden Kohlekraftwerke hochgefahren. Wo ist da die Energiewende?"
Und dann noch die Verteilung des Stroms: "Ein dezentralisiertes Netz – das haben wir wo?", poltert Gruber. "Es gibt ein paar Gemeinden, die das versucht haben und massiv gescheitert sind." Bayern habe nicht nur den Bau neuer Windkrafträder beschränkt, sondern gleich auch den Bau von 380-KV-Leitungen, die den Strom aus den Offshore-Kraftwerken im Norden in den Süden Deutschlands bringen könnten. "Die Atomkraftwerke in Bayern müssen also weiterbetrieben werden." Genehmigungsverfahren zum Bau neuer Leitungen würden ein Jahrzehnt dauern. Und kleine Kraftwerke hätten generell viel schlechtere Wirkungsgrade als große.
Und apropos Windkraft: "Haben Sie gewusst, dass ein Windkraftwerk eine hohe radioaktive Emission hat?" Für die Permanentmagneten in den Generatoren benötige man spezielle Legierungen aus Seltenen Erden wie Dysprosium. "Man findet Seltene Erden in verklumpter Form. Sie müssen raffiniert werden. Bei der Trennung wird über Radongas Radioaktivität freigesetzt. Echt viel Radioaktivität." In Malaysia, wo Australien eine Raffinerie hingestellt hat, seien Zehntausende deshalb gestorben.
Solarzellen seien gut – in Kalifornien und auf Berghütten. Die einen haben viele Klimaanlagen, die laufen, während die Sonne scheint, für die anderen ist es besser, manchmal Strom zu haben als gar nicht. Aber als Kraftwerk in der Wüste? "Dort wird Süßwasser zum Kühlen der Paneele verwendet, um einen akzeptablen Wirkungsgrad zu erreichen."
Würde es nicht helfen, bessere Speichermedien zu bauen? "Da frage ich: welche? Und die Frage ist berechtigt. Es gibt bis heute keine vernünftige Lösung", gibt Gruber zurück. "Es geht um elementare Physik: Wenn wir in einem Bereich eines Autoakkus eine zu hohe Energiedichte haben, explodiert das Ding", umreißt er das Problem. "Wir haben jahrzehntelange Forschung hinter uns, und schauen Sie, wie lange ein Handy-Akku hält." Elektroautos seien fraglos eine "geile Geschichte": zum Einkaufen, zum Kinderabholen von der Schule. "Aber wenn ich Wien – Graz – Wien fahren will an einem Tag, kann ich das nicht."
Grubers Urteil: "Wir verzetteln uns in irgendwelchen Alternativen, die zum Teil nicht so funktionieren, wie sie sollten." Gleichzeitig gehen wir den sinnvollen Dingen aus dem Weg: "Wer fährt mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Jedes Watt, das nicht unnötig verbraucht wird, ist gut. Alle haben über Energiesparlampen geschimpft. Wir sparen uns aber damit pro Jahr zwei bis drei Atomkraftwerke!"
Die "echte" Energiewende
Eine "echte" Energiewende im Sinne Grubers sieht anders aus: "In wenigen Jahren geht in Südfrankreich der Fusionsreaktor Iter in Betrieb. Die aktuellen AKWs sind eine Brückentechnologie, bis die Fusion in Europa funktioniert", sagt er. Innerhalb weniger Jahrzehnte könnten dann Kohle- und Atomkraftwerke in Europa obsolet werden.
Die andere Schlüsseltechnologie, auf die der Physiker setzt, soll radioaktiven Müll verwerten. Im niederländischen Forschungsreaktor Myrrha wird ein Konzept des Nobelpreisträgers und ehemaligen Cern-Leiters Carlo Rubbia umgesetzt. "Er hat gezeigt, dass man aus hochradioaktivem Material ein harmloses machen kann. Der Schmäh: Man beschießt das Material mit thermischen Neutronen und bringt es dazu, die Strahlung nicht über lange Zeit, sondern schnell abzugeben." Auch das könne als Energiequelle dienen. Gruber: "Das ist die Energiewende, die wir haben. Mehr haben wir nicht." (Alois Pumhösel, 2.12.2015)