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Was die Maschine so produziert: Umweltkatastrophe nach einem Dammbruch in Mariana, Brasilien, zu Beginn des Monats.

Foto: reuters/Moraes

Der Klimawandel ist viel mehr als nur ein ökologisches Desaster, denn er führt zu enormen sozialen und auch ökonomischen Verwerfungen. Wo seine Ursachen in der Entwicklung unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems liegen, zeichnet Fabian Scheidler in seinem Buch "Das Ende der Megamaschine" nach.

Zwar ist der Klimawandel selbst nicht Hauptthema des Buchs. Aber gerade durch den Abstand zu dessen unmittelbarer Ursache – dem übermäßigen CO2-Ausstoß -, wird eine tiefergehende Erklärung für die sich abzeichnenden globalen Krisen geliefert.

Dazu verwendet Scheidler das Bild einer "Megamaschine", was zunächst etwas verwirrend wirken mag, weil insinuiert wird, dass ein Masterplan hinter dem Ganzen stehe. Bei näherem Hinsehen erkennt man aber, dass es da viele Maschinisten gibt, die gleichzeitig die Profiteure, aber immer wieder auch Opfer dieses sich selbst antreibenden Systems sind.

In seinen analytischen Betrachtungen zeichnet Scheidler ausgewählte historische Entwicklungen nach. Dabei wird den Verbindungen und Rückkoppelungseffekten zwischen Ökonomie, staatlicher Gewalt, aber auch Kultur, Medien und Erziehung die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Daraus schält sich das Bild eines Systems, dem "vier Tyranneien" zugrunde liegen: physische und ideologische Macht, strukturelle Gewalt und lineares Denken.

Strukturelle Gewalt des Marktes

Nach einem Mittelalter mit vergleichsweise zurückgenommener Herrschaftsausübung (im Vergleich zum hochmilitarisierten römischen Weltreich, dessen Aufrüstung unter anderem die Abholzung der ursprünglichen Wälder des Mittelmeerraums verursacht hat) beginnt sich ab etwa 1500 die Megamaschine zu etablieren. Deren Motor ist für Scheidler unsere Wirtschaftsweise, die einzig durch Profitstreben legitimiert und motiviert sei.

Märkte, Banken und die Börsen mit ihrem Rohstoff- und Aktienhandel entpuppen sich als treibende Kraft für ein wirtschaftliches Interagieren, dem der Bezug zu (Mit-)Menschen und Natur verlorengegangen ist. Als ein Beispiel für die strukturelle Gewalt des Marktes sei hier der globale Weizenhandel um 1900 genannt. Bei vollen Kornspeichern und bestens ausgebautem Eisenbahnnetz verhungerten im britisch kontrollierten Indien in wenigen Jahren an die 30 Millionen Menschen.

Scheidler stützt sich in seiner Argumentation auf viele wenig geläufige historische Fakten und Details. So eröffnet sich ein Blick auf oft übersehene Zusammenhänge. Geschichte wird nicht im Rahmen einzelner Disziplinen (politisch, sozial, wirtschaftlich, kulturhistorisch etc.) betrachtet, sondern in deren Zusammenschau. "Megamaschine" meint auch mehr als nur das kapitalistische Wirtschaftssystem. Global gesehen, wird das Wohl der Menschen von den wirtschaftlichen Interessen einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Playern dominiert. Die Mechanismen hinter dieser Art der Machtausübung herauszuarbeiten ist Scheidlers Ziel.

Wachstum stößt an Grenzen

Die Häufung von globalen Krisen macht deutlich, dass unsere Gesellschaft mit ihrer ressourcenvernichtenden Wachstumsideologie an Grenzen stößt – umso mehr, da sie nur ein Subsystem des Planeten Erde darstellt. Deshalb führe auch die Hoffnung auf Beherrschung der Probleme durch Technologien in die Irre.

Scheidler stellt bürgerkriegsähnliche Szenarien weltweiten Ausmaßes in den Raum, die aus der zunehmenden prekären Verteilung von Lebensgrundlagen resultierten. Als einzigen Ausweg sieht er, die Megamaschine kontrolliert zum Stillstand zu bringen, wobei ihm bewusst ist, dass ein über Jahrhunderte gewachsenes komplexes System nicht so einfach umgebaut werden kann. Weltweit gebe es aber bereits jetzt eine beträchtliche Anzahl widerständiger Bewegungen – zum Beispiel die Anti-Atomkraft- oder "Divestment"-Bewegungen, die fossile Energieträger konsequent meiden. In Wirtschaft und Gesellschaft gebe es keine determinierenden Naturgesetze, das mache auch das Streben nach Lösungsansätzen nicht aussichtslos.

Immer wieder beruft sich Scheidler auf Mahatma Gandhi, der auch ein Wirtschaften auf Basis von Genügsamkeit propagierte. Neben Modellvielfalt brauche es basisdemokratische Strukturen sowie den Staat mit seinen Institutionen – in der Rolle als Verteidiger der individuellen Freiheiten sowie als Organisator von Verteilungsgerechtigkeit. In den kapitalismuskritischen und fortschrittsskeptischen Diskurs reiht sich dieses kompakte Buch auf anregende Weise ein. (Reinhilde Becker, 2.12.2015)