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Erste-Chef Andreas Treichl will "Kunden, Kunden, Kunden" und fahndet nach einem Nachfolger.

Foto: Reuters / Heinz-Peter Bader

STANDARD: Ihr Vertrag wurde bis Mitte 2020 verlängert. Da werden Sie dann 23 Jahre Chef der Erste Group gewesen und 68 Jahre alt sein ...

Treichl: 67 Jahre. Denn ich höre am 15. Juni auf, da bin ich noch 67.

STANDARD: Können Sie nicht aufhören oder wollen Sie nicht?

Treichl: Aufhören kann ich. Aber irgendwie ist die Bank mein Baby.

STANDARD: Ein ziemlich großes.

Treichl: Ja, aber die Bank war in einer schwierigen Lage, da ist sie wieder raus, und ich glaube, ich kann noch etwas zur Entwicklung beitragen. Etwa dabei, einen Nachfolger zu finden. Wenn ich gehe, will ich dem Aufsichtsrat mindestens drei Kandidaten präsentieren können. Und es macht mir noch Spaß.

STANDARD: Hätten Sie nicht längst einen Nachfolger anlernen sollen?

Treichl: Wir haben schon einige Kandidaten. Aber da muss viel zusammenkommen: Mein Nachfolger muss jemand sein, der sich mit der Stiftung, den Sparkassen, mit unserem Geschäft in Österreich identifiziert, der Emotion zur Region Zentral- und Mitteleuropa hat, der vor allem mit unseren Kunden, aber auch mit der Politik und den Regulatoren umgehen kann und die Bank bei der EU in Brüssel, bei der EZB in Frankfurt und bei unseren Investoren in der ganzen Welt gut vertreten kann.

STANDARD: Und da kann Sie halt niemand ersetzen...

Treichl: Ich habe schon ein bisschen Übung in diesen Angelegenheiten.

STANDARD: Vielleicht wollen Sie ja nur beim 200-Jahr-Jubiläum der Erste Group im Jahr 2019 noch als Chef dabei sein?

Treichl: Immerhin hätte ich die Bank dann durch fast ein Achtel ihrer Geschichte geführt. Ich glaube, ich bin jetzt schon weltweit der längst dienende CEO einer börsennotierten Bank.

STANDARD: Macht Ihnen auch der Kampf gegen die Bankensteuer Spaß? Sie wollen die Anrechnung der Abgabe auf die zu dotierenden EU-Fonds durchsetzen.

Treichl: Dieser Schritt muss mir gelingen. Auf die Dauer können wir mit einem derartig starken Wettbewerbsnachteil nicht bestehen. In der Slowakei und in Ungarn haben wir es schon geschafft, die Regierungen von einer Reduzierung der Bankenabgabe zu überzeugen. In Österreich arbeiten wir daran, ich hoffe, dass die Abgabe zumindest auf das deutsche Niveau gebracht wird. Wir liegen zehn Mal drüber. Aber wir haben vereinbart, über die Verhandlungen nicht zu reden.

STANDARD: Was machen Sie, wenn es nicht klappt? Weiterzahlen und mit den Zähnen knirschen?

Treichl: Ich glaube, dass wir uns einigen werden.

STANDARD: In Ungarn haben Sie die Bankensteuer weggedealt. Dafür können sich Europäische Entwicklungsbank EBRD und ungarischer Staat zu je 15 Prozent an der Erste in Ungarn beteiligen. Wie weit sind Sie da?

Treichl: Wir werden den Einstieg in den nächsten zwei, drei Monaten unter Dach und Fach haben.

STANDARD: Wie ist es, mit Premier Viktor Orbán Deals zu machen?

Treichl: Er hat alle Vereinbarungen eingehalten, die er mit uns und der EBRD getroffen hat.

STANDARD: Finanzminister Hans-Jörg Schelling hat jüngst gemeint, sein Budget sei ausgereizt, zudem belasteten die Ausgaben für die Flüchtlinge den Staatshaushalt.

Treichl: Mein Wissensstand ist, dass er bemüht ist, eine Lösung für die Bankensteuer zu finden, und er das nicht im Konnex mit den Ausgaben für Flüchtlinge sieht.

STANDARD: Sie haben rund 400 Flüchtlinge im zukünftigen Erste-Headquarter und nahe dem Westbahnhof untergebracht. Wie finden Sie den Umgang der Politik mit dem Flüchtlingsthema?

Treichl: An diesem Beispiel zeigt sich die Komplexität des europäischen Entscheidungsprozesses und dass die politische Struktur Europas für Notsituationen nicht gut geeignet ist. Wir wissen seit Jahren, dass es zu so einer Situation kommen kann und haben nicht vorausgeplant. Europa reagiert hektisch, völlig unkoordiniert und ad hoc. Hätten wir uns früher den Kopf zerbrochen, hätten wir erkannt, dass wir dieses Problem nicht als EU allein lösen können, sondern nur mit der Türkei gemeinsam. Zu hoffen ist, dass uns das eine gute Lehre ist – und dass sich die Politik auf einen Weg einigt, was zu tun ist, wenn der Flüchtlingsstrom nicht abreißt. Derzeit glauben wir ja, dass er endet und das Transit- langsam zu einem Asylproblem wird. Aber wer weiß, was noch alles kommt.

STANDARD: Wie sehen Sie Angela Merkels "Wir schaffen das"-Position?

Treichl: Merkel hat mit ihrem "Wir schaffen es" eigentlich eine Obama-Aussage getroffen: "Yes, we can". Das zu sagen, war ihr offenbar ein Bedürfnis, ausnahmsweise hat sie Emotion in der Öffentlichkeit gezeigt, die Auswirkungen hat sie wahrscheinlich nicht bedacht. Ich finde ihre Reaktion sehr schön, die Folgen nicht. Eine Solidarisierungswelle auszulösen, das ist ihr nämlich nicht gelungen.

STANDARD: Ein weiteres Kampffeld für Sie ist die einheitliche Einlagensicherung der EU. Sparkassen und Raiffeisen wehren sich, weil sie eigene Haftungseinrichtungen haben, die österreichische Regierung sieht es auch skeptisch.

Treichl: Ich verstehe die Bedenken, aber man muss differenzieren. Ich bin für eine europäische Einlagensicherung, weil ich noch an eine europäische Banken- und Finanzunion glaube. Aber jetzt ist der falsche Zeitpunkt, weil die europäischen Länder völlig unterschiedliche Einlagensicherungssysteme haben. Deutschland hat schon sehr viel Geld eingezahlt in seines, Österreich wenig, und viele Länder haben noch gar kein System. Das muss erst einmal angeglichen werden, dann müssen die nationalen Töpfe gefüllt werden und der Regulator muss die Regelwerke fixieren. Wenn man schnell arbeitet, kann man mit der gemeinsamen Einlagensicherung in vier oder fünf Jahren beginnen.

STANDARD: Die Erste Group ist gerade aus Verlusten aufgetaucht, Sie sagen, sie wollen noch etwas beitragen. Wie tun Sie weiter?

Treichl: Wir müssen uns so positionieren, dass wir die Regulatorien erfüllen, unser Eigenkapital verdienen und trotz Niedrigzinsphase beweisen, dass wir unseren Kunden einen Nutzen bringen. Wir verkaufen Zahlungsverkehr, Einlageprodukte und Kredite, das tun auch digitale Anbieter. Mit ihnen müssen wir mithalten – aber wir haben einen Vorteil: Wir können zusätzlich auch beraten. Das wird aber wegen der Regulatorien und Haftungen immer schwieriger.

STANDARD: Und die Filialen werden immer weniger, siehe Bank Austria.

Treichl: Diese Diskussion über das Sperren von Filialen ist völlig oberflächlich. Nicht jede Filiale kostet gleich viel, es kommt auf die Leistungen an, die dort erbracht werden. Die Filialzahl hängt davon ab, ob wir in eine bargeldlose Gesellschaft gehen, ob wir von Stadt oder Land reden und vom Kundenwunsch. Unser Ziel ist, auf unseren Märkten möglichst viele Kunden zu gewinnen, Banken zukaufen wollen wir nicht. Wir wollen Kunden, Kunden, Kunden – und wenn wir dafür Filialen brauchen, werden wir Filialen aufmachen. Wenn nicht, werden wir sie zusperren.

STANDARD: Warum kaufen Sie nicht zu? Bescheiden geworden?

Treichl: Wir sind dabei, unsere digitale Datenbasis gruppenweit aufzubauen, um die Komplexität aus unseren tausenden Produkten wegzubekommen. Es würde stören, würden wir da eine neue Bank kaufen. Wenn wir bei der Datenbasis alles perfektioniert haben, können wir auf Knopfdruck alle unsere Daten für uns, in der Beratung für unsere Kunden und für die Aufsicht liefern.

STANDARD: Wie viel kostet das?

Treichl: Bis wir in ein paar Jahren dort sind, werden wir sicher eine Milliarde Euro investiert haben.

STANDARD: Die Erste Group hatte 2011 rund 50.500 und 2014 rund 46.000 Mitarbeiter, Sie bauen hauptsächlich in Osteuropa ab. Wie viele Mitarbeiter werden Sie haben, wenn Sie am 15. Juni 2020 gehen?

Treichl: Weiß ich nicht. Wahrscheinlich weniger, aber besser ausgebildete und vielleicht besser bezahlte.

STANDARD: Die Erste Group hat 2011 und 2014 Riesenverluste gemacht. Haben Sie aus den Fehlern gelernt?

Treichl: Wenn man so wächst wie wir, kann das nicht ohne Einbrüche abgehen, und manche unserer Einbrüche waren gewaltig. Aber jetzt sind wir das wertvollste börsennotierte Unternehmen zwischen Deutschland und Russland. We are the number one.

STANDARD: Kann sich rasch ändern.

Treichl: Das weiß ich, aber derzeit können wir uns daran erfreuen. Ich glaube übrigens, dass in den nächsten Jahren nicht das Kreditgeschäft unser größtes Risikopotenzial darstellt, sondern die Politik. Nicht aus bösem Willen, sondern situationsbedingt. Denn nicht nur das Bankgeschäft, sondern auch die Politik ist in den letzten zehn Jahren sehr diffizil geworden. Oft werden die, die gute Schritte setzen, abgewählt. Mit all dem fertig zu werden, wird spannend.

STANDARD: Sie sagen, Sie wollen nach Ihrem Job hier noch viel tun. Was denn genau?

Treichl: Ich finde meinen Job sehr interessant und mach ihn gern. Daneben versuche ich, einen ordentlichen Ehemann und Vater abzugeben, aber in vielem bin ich völlig abgestunken. Ich treffen meine Freunde zu selten, lese zu wenig, gehe selten in Konzerte, Oper, Theater, Ausstellungen. Ich werde sukzessive ungebildeter.

STANDARD: Sie haben zehn Banken gekauft, persönlich eine Menge Geld verdient, und wissen nichts mehr vom andren Leben. Ein hoher Preis.

Treichl: Ja.

STANDARD: Sie wollen dann gar nichts mehr werden? Ehrenamtlich etwa, oder vielleicht Bundespräsident?

Treichl: Nein. Wenn ich gehe, gehe ich. (Renate Graber, 28.11.2015)