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Frankreich hat nach den Terroranschlägen von Paris die EU-Mitgliedstaaten zur Beistandspflicht angerufen.

Foto: REUTERS / Philippe Wojazer

Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, verkündete am 17. November, dass alle EU-Mitgliedsstaaten in der vorangegangenen Sitzung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten Frankreich auf dessen Bitte hin einstimmig Beistand gemäß Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die EU zugesichert haben.

Frankreich hatte die Terroranschläge von Paris als Kriegsakt bezeichnet und nicht wie schon 2001 die USA nach den Terrorangriffen in New York die Nato-Beistandspflicht angerufen. Das ist wohl der bitteren Erfahrung aus 14 Jahren Afghanistan-Einsatz geschuldet, dass hinter jeder Terrororganisation eine Ideologie steht, welche nicht ausschließlich mit militärischen Mitteln besiegt werden kann. Zu mehr ist die Nato mangels Kompetenz aber nicht in der Lage.

EU-Solidaritätsklausel reicht nicht aus

Doch auch die für Terroranschläge zugeschnittene Solidaritätsklausel in Artikel 222 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU wurde nicht ins Spiel gebracht. Erst auf den zweiten Blick lässt sich erkennen, warum Frankreich auch diese Karte nicht gezogen hat. Einerseits ist die gegenseitige Verpflichtung auf das jeweilige Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedsstaates begrenzt, andererseits obliegt die Einschätzung über Art und Umfang der geeigneten Mittel und Maßnahmen den jeweiligen Mitgliedsstaaten.

Nun kann aber die aktuelle Terrorgefahr nicht allein durch Maßnahmen innerhalb der territorialen Grenzen der EU-Mitgliedsstaaten beseitigt werden. Deren Urheber, die sich selbst als "Islamischer Staat" bezeichnende Terrororganisation, befindet sich im Irak und in Syrien und breitet sich zunehmend vor allem in der Maghreb-Zone in Afrika aus. Dort ist Frankreich seit 2012 wieder zunehmend als Krisenfeuerwehr in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik tätig.

Wiederholte Appelle seitens Frankreichs, sich vermehrt im Rahmen der verschiedenen Uno- und EU-Mission zu beteiligen, sind bei den EU-Partnern nur vereinzelt auf positives Gehör gestoßen. Frankreich war gezwungen, seine militärischen Kapazitäten mittlerweile an drei Fronten – in Afrika, in Syrien und Frankreich selbst – auszuspielen. Es ist vor allem dieser Einsatz im eigenen Land, der die meisten Kräfte und Mittel erfordert. Daher wünscht sich Frankreich eine militärische Entlastung durch die EU-Mitgliedsstaaten vor allem in Afrika.

Nur EU-Beistandspflicht gibt Hoffnung auf Erfolg

Mit der Beistandspflicht der EU hat Frankreich nun jenes Mittel in Anspruch genommen, das in der gegenwärtigen Bedrohung die größte Aussicht auf Erfolg bietet. Sie verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten, mit allen ihnen zu Verfügung stehenden Mitteln (einschließlich militärischer) ohne geografische Einschränkung dem mit Waffengewalt angegriffenen oder bedrohten Mitgliedsstaat Unterstützung zu leisten.

Frankreich kann nunmehr unter Verweis auf die eingegangene Beistandsverpflichtung die anderen EU-Mitgliedsstaaten dazu auffordern, sich zum Beispiel vermehrt militärisch in Mali zu betätigen. Darüber hinaus könnten unter diesem Titel auch umfassendere Maßnahmen im Bereich der polizeilichen, justiziellen und nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit vereinbart werden. Das betrifft genau jene Bereiche, in denen sich die EU-Mitgliedsstaaten bis dato auf keine vertragliche Vergemeinschaftung einigen konnten.

Das endgültige Aus der Neutralitätsillusion

Auch Österreich hat Frankreich seinen Beistand "im Rahmen seiner Möglichkeiten" zugesichert, weil es genauso von Terroranschlägen bedroht ist wie die anderen EU-Mitgliedsstaaten. Die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts verlangen nach einem gemeinsamen und umfassenden sicherheitspolitischen Vorgehen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik der EU. Die wesentlichste Erkenntnis für Österreich sollte sein, dass die Neutralität in einer solidarischen europäischen Sicherheitspolitik mangels passender Bedrohung ausgedient hat. (Philipp Ségur-Cabanac, 27.11.2015)