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Varoufakis im Medienrummel. Zunächst gab er an, Verhandlungen aufgezeichnet zu haben. Danach dementierte er.

Foto: AP / Petros Karadijas

Als die Griechenlandkrise im Frühjahr 2015 auf einen ersten Höhepunkt zusteuerte, erschien im "New Yorker" eine aufsehenerregende Geschichte. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis gab darin an, ein Treffen der Finanzminister der 19 Euroländer Ende April in Riga auf Tonband aufgezeichnet zu haben. Der angebliche Mitschnitt sorgte für Empörung: Die übrigen Minister fühlten sich ausspioniert. Varoufakis zog später zurück und behauptete, gar keine Aufnahme in Riga gemacht zu haben. Doch dem STANDARD ist ein Coup gelungen: Bei seinem Wienbesuch vor wenigen Wochen übergab der griechische Exfinanzminister der Redaktion eine Aktentasche. Sie enthielt die geheimen Tonbandaufzeichnungen aus Riga. Intensive eigene Recherchen zu dem Treffen erlauben nun erstmals die genaue Rekonstruktion des Meetings, das über Europas Schicksal entscheiden sollte. Wir bringen erstmals einen Auszug.

(Die Minister sitzen um einen langen viereckigen Tisch. In der Mitte mit Blick auf die Tür sitzt der niederländische Finanzminister und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, neben ihm sein deutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble. Daneben die übrigen Minister. Ganz im linken Eck ist der Platz von Exprofessor Varoufakis. Neben ihm sitzt Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der, wie wir aufdecken konnten, ebenfalls bei der Sitzung war, um Varoufakis zu bearbeiten. Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling wurde nur ein paar Sessel weiter neben dem Italiener Pier Carlo Padoan platziert. Auch ist Mario Draghi im Raum, Chef der Europäischen Zentralbank, sowie die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Varoufakis kommt gerade zum Ende seiner Ausführungen)

Varoufakis: ... damit wäre bewiesen, dass jede Währungsunion, angefangen beim Römischen Reich, nur unter der Bedingung existieren konnte, dass ein fairer Finanzausgleich zwischen Defizit- und Überschussregionen vereinbart war. Ich danke für die Aufmerksamkeit und stehe bereit für Ihre Fragen. Sollte es keine geben, kann ich gern mit den 100 Postulaten zu dem Thema "Wie die Zinstheorie von John Maynard Keynes Europa retten kann" fortfahren. (Allgemeine Gähn- und Streckgeräusche gehen durch den Raum)

Dijsselbloem: (schreckt auf) Hätten wir das auch hinter uns. Möchte einer unserer geschätzten Ministerkollegen etwas erwidern? (Ganz rechts im Raum hebt Peter Kazimír, slowakischer Finanzminister, die Hand)

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Foto: AP / Virginia Mayo

Dijsselbloem: (tut so, als würde er den Slowaken nicht sehen, wendet sich zu Schäuble:) Lieber Wolfgang, möchtest du anfangen? (Kazimír gestikuliert immer wilder, Schäuble tut so, als würde er seine Fingernägel betrachten)

Dijsselbloem: Wolfgang? Ich glaube, wir würden alle gerne hören, wie du das siehst. (Schäuble sieht an die Decke. Währenddessen schnappt sich Juncker Varoufakis, nimmt ihn in den Schwitzkasten)

Dijsselbloem: (resignierend) Wolfgang? Ich sehe, unser slowakischer Amtskollege möchte etwas sagen.

Kazimír: Danke. Uns Slowaken wurde noch nie etwas von irgendjemandem geschenkt ... (Österreichs Finanzminister am anderen Ende des Tisches rutscht zunehmend nervös auf seinem Sessel hin und her.)

Schelling: (leise) Oje, oje. Ach Gott.

Juncker: (lächelnd zu Varoufakis im Schwitzkasten) Na na, du kleiner Kommunist ...

Schelling: Ajajaj.

Kazimír: Darum wissen wir Slowaken, wie sich wahre Armut ...

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Foto: APA / EPA / Stephanie Lecocq

Padoan: (zu seinem Sitznachbarn Schelling) Was ist denn los?

Schelling: Ich habe bei ihm einen Espresso bestellt!

Padoan: Wie, wo – bei wem?

Schelling: Na bei ihm! (deutet auf den slowakischen Finanzminister Kazimír)

Kazimír: ... deshalb ist die einzige Lösung, Griechenland zu privatisieren. Und ich meine hier nicht nur ein paar Inseln, sondern ...

Schelling: (zu Padoan) Ich dachte, er sei vom Catering. Er hat sich zu mir gebeugt, mich begrüßt, da habe ich ihn um den Kaffee gebeten. Aber wer kann bei 19 Ministern noch den Überblick behalten? Ich bin fast neu, kenne kaum jemanden. Ich war früher übrigens Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Kennen Sie den?

Padoan (schluckt)

Schelling: Da habe ich das mit den Defiziten ganz leicht ...

Juncker: (mit Varoufakis im Schwitzkasten, der nach Luft schnappt) Euroaustritt? Schuldenschnitt? Wer wird denn da so sein ...

Kazimír: ... die Versteigerung der Landesteile per Auktion mitsamt Mensch und Vieh wäre deshalb also ebenfalls überlegenswert. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Dijsselbloem: Danke. Ich sehe, wir kommen gut voran. Nun reden wir vernünftig. Wer möchte sprechen? Wolfgang? (Schäuble tut so, als würde er etwas an seinem Rollstuhl richten. Juncker kneift Varoufakis in die Wangen. EZB-Chef Draghi hebt die Hand)

Schelling: (zu Padoan) Ich habe also den Laden saniert und ...

Dijsselbloem: (resignierend) Herr Draghi.

Draghi: Das Grundproblem Europas lässt sich auf eine einfache Formel bringen ...

Lagarde: (wendet sich ihrem Sitznachbarn Kazimír zu, leise) Das war eine sehr inspirierende Rede.

Kazimír: Danke! Ich weiß.

Schelling: (zu Padoan) Die schwarze Null war ja nicht so einfach zu halten ...

Draghi: ... wenn Unternehmen nicht mehr bereit sind zu investieren und Konsumenten nicht mehr konsumieren, geht es bergab. Wer außer uns bei der EZB ist bereit, Geld in die Hand zu nehmen? Sehen Sie nur uns im Raum an: Keiner hat den Kuchen angerührt, keiner Kaffee bestellt.

Lagarde: (greift in ihre Handtasche, kramt ihre Visitenkarte hervor, legt sie Kazimír auf den Tisch) Weil Sie gerade von Privatisierungen gesprochen haben. Wir beim Währungsfonds sind eine Institution mit weltweiter Erfahrung ...

Juncker: (zu Varoufakis; reibt jetzt mit seiner Faust auf der Glatze des Griechen) Na, na? Wer wird denn da so bockig sein ...

Draghi: Deshalb gehe ich jetzt mit gutem Beispiel voran und zeige, wie es gehen kann. (Draghi winkt einen Mann von hinten herbei und lässt sich Kaffee aus einer Kanne am Tisch einschenken. Draghi gibt dem Mann 500 Euro)

Draghi: Das Wechselgeld können Sie behalten. Sehen Sie, was ich meine?

Schelling: (zu Padoan) Ach das ist der Herr vom Catering ...

Dijsselbloem: Wer möchte als Nächstes?

(Schäuble hebt einen Finger. Im Raum wird es lauter, weil plötzlich mehrere Kellner rund um Draghi schwirren, ihm Tee und andere Dinge hinstellen)

Dijsselbloem: (entzückt) Endlich. Wolfgang!

Schäuble: (schmunzelnd) Diese sogenannten Ökonomen ...

Schelling: (zu Padoan) Kennen Sie den XXXLutz?

Schäuble: ... erklären uns, dass zwei mal zwei nicht vier ist ... (Varoufakis befreit sich)

Schäuble: ... mit dieser Ökonomenterminologie. Danke für die Aufmerksamkeit.

Dijsselbloem: (entzückt) Wunderbar Wolfgang! Möchte noch jemand etwas sagen. (Varoufakis hebt die Hand, wird sofort wieder von Juncker gepackt)

Dijsselbloem: Ich sehe also keine weiteren Wortmeldungen. Wir machen 15 Minuten Pause. (Der lettische Finanzminister Janis Reirs steht als Erster auf, klopft jedem der Anwesenden noch einmal auf die Schultern. Er kommt bei Schelling vorbei)

Reirs: Hans!

Schelling: Endlich. Einen Verlängerten bitte. (blickt zu Padoan) Und du? (Andras Szigètvari, Portfolio, 21.12.2015)