Spätestens seit Christoph Ransmayers Roman "Der Schrecken des Eises und der Finsternis" und einem Dokumentarfilm über die Polarreise der Admiral Tegetthoff ist die lebensgefährliche Arktisexpedition von Julius Payer und Carl Weyprecht bekannt. Aber schon früher, nämlich 1962, hatte der literarische Stil des Julius Payer inspiriert. Konrad Bayers "Kopf des Vitus Bering" basiert auf Payers 1876 publiziertem Expeditionsbericht über "Die österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1869-74".

Payers 696 Seiten starkem, mit 146 Illustrationen geziertem, für damalige wie heutige Zeiten sensationell 60.000-mal verkauftem Bericht waren auch drei Karten beigelegt, die bis heute Grundlage für Expeditionen und Forschungen sind: eine Karte des Franz- Josef-Lands, des Nowaja-Semlja-Meeres sowie eine Übersichtskarte der Nordostküste von Grönland.

Julius Payer (1842-1915) gehört zu den bedeutendsten Entdeckern Österreichs und zu den ganz wenigen österreichischen Polarfahrern von Weltrang. Anlässlich seines 100. Todestages recherchierte Historiker Frank Berger das bewegte, abenteuerliche Leben in einer detailliert und umfangreich bebilderten Biografie. Er zeigt den in Nordböhmen, in Teplitz-Schönau, geborenen Payer als Mann mit vier Karrieren.

Als Alpinist führte er in fünf Jahren 59 Erstbesteigungen im Adamello-Presanella und im Ortler-Gebiet durch. Als Polarfahrer entdeckte er neue Gebiete in Spitzbergen, in Nordostgrönland und auf Franz-Josef-Land. Als Autor und Schriftsteller verfasste er geografische Grundlagenwerke über die Ostalpen und über Polarexpeditionen. Außerdem war er als Historienmaler für imposante Monumentalgemälde weltberühmt.

Unter dem Codewort "Isbjorn" nahm die österreichisch-ungarische k. u. k. Kriegsmarine Fahrt "Kurs Nord". Höhepunkt war die Entdeckung jenes eisigen Archipels, der als "Franz-Josephs-Land" in die Annalen eingehen sollte. Aufgabe des "Unternehmens Eisbär" war die Erkundung und Erforschung von Meeresströmungen, Windverhältnissen und Lage und Verschiebung, Entwicklung der polaren Packeiszonen. Vor allem wollte man eruieren, ob es eisfreie Fahrrinnen gäbe und man diese für Schiffsfahrt und Transport nutzen könne. Visionär!

Beseelt von einem Kolonialismus, der die sonst üblichen kakanischen Minimundusausmaße überstieg, richtete sich das Interesse Österreichs auf exotische Destinationen: von Inseln östlich von Spitzbergen existierten einige Berichte älteren Datums: von William Baffin 1614, von Cornelis Roule 1675, sowie 1865 vom norwegischen Robbenfänger Nils Fredrik Rønnbeck. 1872 verließ Payer an Bord der Tegetthoff Norwegen, exakt Tromsø. Am 30. August 1873 kaperte man eine nur Inuitfischern als "Rönnebeck" bekannte Inselgruppe und nannte sie, zu Ehren des Monarchen, Franz-Josef-Land.

Zwei Winter lang unternahmen die Forscher Schlittenfahrten und Expeditionen zu Fuß. Die Besatzung blieb an Bord des im Eis eingeschlossenen Schiffes. Im Frühjahr 1874 beschloss die Expeditionsleitung, das Schiff zurückzulassen. Trotzdem begab sich Payer nach Norden, um den 82. Breitengrad zu erreichen und den fast 50 Jahre alten Rekord des britischen Polarforschers James Clark Ross zu brechen. Nach einem 300 km langen Marsch in nur 17 Tagen erreichten Payer und zwei Begleiter den nördlichsten Punkt des Archipels auf 82° 50' nördlicher Breite.

Nach ihrer Odyssee wurden die Expeditionsteilnehmer von russischen Transchonern an Bord genommen und zum norwegischen Hafen Vardø gebracht. Julius Payer wurde vom Kaiser geadelt. Carl Weyprecht hatte 1874, als er die Mannschaft zum Durchhalten bewegt hatte, eine Flaschenpost, in der er die Ereignisse beschrieb, verfasst und dem Meer übergeben.

104 Jahre später, anno 1978, wurde diese Flasche übrigens von einem russischen Forscher, Wladimir Serow, auf der Insel Lamont auf Franz-Josef-Land gefunden. Auf diplomatischem Weg erreichte sie 1980 Wien und befindet sich im Besitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Das Eiland, das zuvor als Niemandsland gegolten hatte, erste und letzte österreichische Errungenschaft des Kolonialismus, galt damals als interessant, aber nutzlos. Eine Einschätzung, die man später, als man die an Bodenschätzen reiche Insel verschenkt hatte, bitter bereuen sollte. Seit 1926 ist das Territorium zwischen sowjetischem Festland und dem Nordpol sowjetisches Hoheitsgebiet.

Die Karten und Skizzen, die Payer und sein Team bei der Expedition erstellt haben, dienen heute noch als Forschungsgrundlage. Eine Weiterentwicklung erschien dieser Tage in "Icelandic Lessons". Darin werden die Potenziale ausgelotet, die aus den Spannungsfeldern von Architektur und Landschaft, urbanem und ländlichem Raum, Kultur und Natur, Menschlichem und Nichtmenschlichem entstehen. Das Buch stellt vor, wie eine hypothetische Industrialisierung Islands aussehen könnte, und hinterfragt scheinbar gegensätzliche Kategorien: als Gegenvorschlag zur Strategie von Wachstum, Industrialisierung und Verstädterung.

An der Ästhetik dieser bizarren Landschaft wiederum interessiert ist die finnische Fotografin Tiina Itkonen. Seit 1995 bereist sie regelmäßig Grönland, um die polare Landschaft und die dort lebenden Menschen zu fotografieren. Trotz der zeitlos atemberaubenden Schönheit der dokumentierten Landschaft ihrer Serie "Avannaa" entsteht unterschwellig immer der Gedanke an die ökologische Bedrohung des Territoriums durch die globale Erwärmung.

Ob die dadaistische Textzeile "Ich funke übers Eismeer, denn Du bist nicht hier" von Minisex' Mastermind Rudi Nemecek ein Fragment von Weyprechts Flaschenpost ist, war nicht zu eruieren ... (Gregor Auenhammer, 28.11.2015)