Die letzten Einkaufstage bei Zielpunkt.

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Wien – Der Montag wird aus insolvenzrechtlicher Sicht von besonderer Bedeutung sein. Zielpunkt dürfte seit der Pleite des Baukonzerns Alpine Mitte 2013 zumindest gemessen an der Zahl der betroffenen Mitarbeiter die größte Insolvenz hinlegen. Mit Ulla Reisch und Ernst Chalupsky setzt Zielpunkt auf zwei renommierte Insolvenzrechtsexperten, die als Schuldnervertreter fungieren. Erwartet wird zudem die Einleitung eines Sanierungsverfahrens über den steirischen Fleisch- und Wurst-Zulieferer Schirnhofer, der eng mit der Supermarktkette kooperiert.

Seit Donnerstag gehen die Wogen hoch: Die Nicht-Bezahlung der Novembergehälter der Handelsangestellten, das Interesse von Zielpunkteigentümer Pfeiffer an einzelnen Standorten und der Kauf von 80 Zielpunkt-Immobilien just wenige Woche vor der Insolvenz lösen bei Gewerkschaft und Mitarbeitern Entsetzen aus. Auch von politischer Seite muss sich Pfeiffer einiges anhören lassen, am Sonntag bezeichnete beispielsweise Grünen-Chefin Eva Glawischnig das Vorgehen des oberösterreichischen Handelskonzerns als "unerträglich".

Moralisch mögen mehrere Aspekte fragwürdig erscheinen, doch rechtlich können Insolvenzexperten wenig Verwerfliches an der Vorgangsweise finden. Die strittigen Punkte im Einzelnen:

  • Gehälter Zielpunkt zahlt die November-Gehälter nicht, auch die künftige Entlohnung, Weihnachtsgeld und Abfertigung werden an den Insolvenzentgeltfonds "delegiert". Doch eine solche Vorgangsweise ist nicht nur normal, sondern sogar geboten: "Würde Zielpunkt die Novembergehälter noch schnell auszahlen, obwohl die Insolvenz schon absehbar ist, wäre das eine Gläubigerbevorzugung", erläutert Gerhard Weinhofer von Creditreform. Unter gewissen Umständen könnte eine solche Vorgangsweise den Tatbestand der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen erfüllen, der mit bis zu zwei Jahren Haft sanktioniert wird. Übrigens: Der Insolvenzfonds wird von den Arbeitgebern gespeist.
    Von der Gewerkschaft wird zudem kritisiert, dass es keine Verhandlungen über einen Sozialplan gegeben habe. Insolvenzprofis, die namentlich nicht genannt werden wollen, ist kein Fall bekannt, bei dem ein Sozialplan vor der Pleite von einem Unternehmen ausgegangen sei. Auffanglösungen und Arbeitsstiftungen seien in der Regel Akzente, die von Gebietskörperschaften gesetzt werden.

  • Interesse an Filialen Tatsächlich heikel ist die Ankündigung von Gruppeneigentümer Georg Pfeiffer, wonach die hauseigenen Ketten Unimarkt und Nah&Frisch an einzelnen Standorten von Zielpunkt interessiert sind. Das nährt den Vorwurf der Gewerkschaft, man entledige sich der defizitären Filialen und sichere sich auf Kosten der Allgemeinheit die Filetstücke. Dieser Punkt wird auch von Kreditschützern skeptisch gesehen.
    Insolvenzrechtlich möglich, aber heikel, meint dazu KSV-Experte Hans-Georg Kantner. Weinhofer sieht das ähnlich und verweist auf den Begriff der "Familia suspecta", nach dem Personen oder Gesellschaften aus dem Umfeld des Schuldners unter besonderer Beobachtung stehen. Letztlich sei der Verkauf von Filialen ohnehin Angelegenheit des Masseverwalters und des Gläubigerausschusses, meinen die Experten. Klar ist: Pfeiffer muss das beste Angebot legen, um die Standorte zu bekommen. Zudem wird eingeworfen, dass ein Betrieb von Standorten für Mitarbeiter, Gläubiger und Lieferanten vorteilhafter sein könnte als die Schließung der Geschäfte.

  • Kauf von Immobilien Pfeiffer hat vor kurzem vom früheren Zielpunkt-Eigentümer Tengelmann 80 Immobilien gekauft. Die Gewerkschaft überlegt deshalb eine Strafanzeige. In Frage käme rein theoretisch der Tatbestand der betrügerischen Krida. Doch nach derzeitigem Wissensstand hat eine Pfeiffer-Gesellschaft und nicht Zielpunkt die Standorte übernommen, sodass eine Verringerung des Vermögens zulasten der Gläubiger auf den ersten Blick nicht in Frage kommt.

Eine schiefe Optik hat die Vorgangsweise natürlich, wie auch Pfeiffer einräumt. Er spricht von einem "unglücklichen zeitlichen Zufall", der Immobiliendeal sei nämlich schon seit Monaten vorbereitet worden. Dem Vernehmen nach erachtete Pfeiffer die Zielpunkt-Mieten als zu hoch, weshalb man selbst die Geschäfte kaufen und günstiger vermieten wollte. Ob die Händler aus Traun dabei unsauber agierten, wird ohnehin der Masserverwalter unter die Lupe nehmen.Das Schicksal von 2700 Zielpunkt-Mitarbeitern weckt viel Emotionen und Mitgefühl. Doch Pfeiffer dürfte die Reißleine nicht aus Jux und Tollerei gezogen haben. 50 Millionen hat Pfeiffer schon versenkt, 60 weitere Millionen wären zur Sicherung kurzfristig notwendig gewesen. Ohne konkrete Aussicht, dass die Gewinnzone erreicht wird. (Andreas Schnauder, 29.11.2015)