Familie Martinek

Foto: Lisa Leutner/Flüchtlinge Willkommen
derstandard.at/brugner & luger

Ashkan wohnt seit zwei Monaten bei Familie Martinek im Einfamilienhaus am Wiener Stadtrand. Der 19-jährige Afghane ist einer von etwa 230 Flüchtlingen, die über "Flüchtlinge Willkommen Österreich" ein neues Zuhause gefunden haben. "Ich habe über Facebook von dem Projekt erfahren", erzählt Gerhard Martinek.

"Wir haben schon länger darüber nachgedacht, jemanden aufzunehmen und so etwas wie familiäre Wärme zu geben." Die eigenen Kinder sind ausgezogen, Platz ist genug vorhanden, "Flüchtlinge Willkommen" kümmerte sich um die Vermittlung.

Lange Warteliste

"Wir haben im Jänner in Österreich mit dem Projekt begonnen, die ursprüngliche Idee kommt aus Deutschland", sagt David Zistl, Initiator und Projektleiter von "Flüchtlinge Willkommen Österreich". Schon damals, vor der großen Fluchtbewegung der letzten Monate, habe es massive Wohnungsnot für Asylwerber gegeben.

"Die Nachfrage ist unglaublich groß, gleichzeitig beschäftigen sich kaum NGOs mit dem Thema", sagt Zistl, der in Wien Politikwissenschaft studiert. 400 Flüchtlinge stehen derzeit auf der Warteliste von "Flüchtlinge Willkommen". 70 Menschen engagieren sich in der Initiative, der größte Teil der Arbeit ist ehrenamtlich.

"Natürlich ist es bei ehrenamtlicher Arbeit auch so, dass immer wieder mal Leute abspringen, aber gerade bei diesem Projekt bleiben die Mitarbeiter im Schnitt sehr lange dabei", sagt Zistl. Ein wichtiger Motivationsfaktor ist die unmittelbare Erfahrung in der Arbeit mit den Flüchtlingen. "Unsere Leute sind dabei, wenn Flüchtlinge ihre Zimmer bekommen und ihre neuen Mitbewohner kennenlernen. Jeder einzelne sieht, was er konkret bewirken kann."

"Man sieht, was man bewirken kann"

Fünf bis zehn Stunden pro Woche verbringen die meisten Helfer mit der Arbeit bei "Flüchtlinge Willkommen". "Es ist schon viel geworden", sagt David Zistl, trotzdem melden sich immer wieder junge Menschen, die mithelfen wollen.

Einmal im Monat findet im Café Prosa im 15. Wiener Gemeindebezirk ein Stammtisch statt, bei dem sich Flüchtlinge, WGs, Familien und Helfer treffen und austauschen können. So bleibt der persönliche Kontakt zu Flüchtlingen und Unterkunftgebern erhalten und die Initiative kann bei Problemen schnell reagieren. Die Zimmer werden vor allem von Studenten-WGs und Familien im städtischen Raum angeboten. Nach einer "Hochphase" im August und September sind die Angebote zuletzt allerdings zurückgegangen.

Keine Castingshow

"Das ist natürlich – richtigerweise – keine Castingshow, wo man zehn Flüchtlinge präsentiert bekommt und sich einen aussucht", sagt Gerhard Martinek. Die Lebenssituationen müssen zusammenpassen. "Man braucht auch nicht so naiv sein und glauben, dass das ab dem ersten Tag reibungslos funktioniert", sagt Sandra Martinek, die selbst als Kind aus dem Libanon nach Österreich geflüchtet ist.

Die Verständigung ist noch holprig, aber Ashkan geht viermal die Woche in einen Deutschkurs, sieht mit den Martineks auf Deutsch fern und lernt sehr schnell. Mit der Familienhündin Nelly hat er nach anfänglicher Skepsis bald Freundschaft geschlossen und zeigt stolz Selfies mit Hund her. Der junge Mann lacht viel, hat einen eigenen Trainingsraum im Keller und einen Laptop für die Kommunikation mit seiner Familie bekommen.

Die Vereinbarung mit "Flüchtlinge Willkommen" wird für mindestens ein halbes Jahr abgeschlossen, Ashkan wird für ein ganzes Jahr bei Familie Martinek bleiben. "Mein Ziel ist es, dass er nach diesem Jahr auf eigenen Beinen stehen und sich selbst erhalten kann", sagt Sandra Martinek. Es sieht schon nach zwei Monaten gut aus: Ashkan hat bereits einen Lehrplatz bei Rewe in Aussicht. (Text: Michael Luger, Video: Sarah Brugner & Michael Luger, 10.12.2015)