Bild nicht mehr verfügbar.

Wer für die Schule bestmöglich gerüstet sein will, müsse nicht nur sprachlich und kognitiv entwickelt sein, auch Wahrnehmung, Kommunikation, Bewegung oder psychosoziales Verhalten sind "Themen, die die Bildungslaufbahn von Kindern ziemlich stark beeinflussen können", sagt Kinderpsychiater Klaus Vavrik. Im Bild zwei turnende Mädchen an einer Station des "Bewegten Schulwegs" in Salzburg.

Foto: APA / Barbara Gindl

Wien – Eine Innovation im Rahmen der geplanten Bildungsreform soll ein "Bildungskompass" werden, für den jedes Kind mit dreieinhalb Jahren zur "Potenzialanalyse" muss. Die Daten über die "sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten" sollen über die Bildungskarriere hinweg in einem "Büchlein" dokumentiert werden, erklärte der "Vater des Bildungskompasses", der Genetiker Markus Hengstschläger, am Wochenende im STANDARD-Interview.

Das seien unbestritten wichtige Kernkompetenzen, sagt der Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, Klaus Vavrik. Er warnt aber vor einer inhaltlichen Engführung: "Kinder bestehen – locker gesagt – eben nicht nur aus Sprache. Es gibt viele – oft viel folgenschwerere – Entwicklungsstörungen auf verschiedenen Entwicklungsachsen, die derzeit im Vorfeld der Schule nicht ausreichend erhoben werden. Den Fokus nur auf die Sprache zu legen ist zu kurz gegriffen."

Sprache ist wichtig, aber nicht alles

Konkret gehe es neben Sprache (nicht nur als Fremdsprache) und Denken um Wahrnehmung, Kommunikation, Bewegung oder psychosoziales Verhalten: "Das sind alles Themen, die die Bildungslaufbahn von Kindern ziemlich stark beeinflussen können", erklärt der Kinderpsychiater im STANDARD-Gespräch,

Man könne natürlich in jedem Alter "Bilanz ziehen" und schauen, ob ein Kind bestimmten Entwicklungsstufen entspreche oder Förderung brauche, aber: "Die Frage ist, ob es Sinn macht, in dem Kontext, in dem wir es hier brauchen – als Vorbereitung auf die Schule -, die Kinder mit dreieinhalb flächendeckend zu testen."

Mit fünf Jahren alle zum Screening

Er bezweifelt das, auch weil es dafür nicht die notwendigen standardisierten Methoden und Fragebögen gebe. Stattdessen plädiert Vavrik für ein "allgemeines Entwicklungsscreening etwa um das fünfte Lebensjahr, um dann noch ein Jahr für entsprechende Förderungen vor dem Eintritt in die Schule zu haben." Dazu gebe es ein fertiges Konzept, das von der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit ausgearbeitet und in Kärnten bereits getestet wurde.

Was passiert bei so einem Screening? Neben zwei Fragebögen für Kindergartenpädagoginnen habe man mit diesen, die ja die Längsschnittperspektive haben, ein ausführliches Gespräch über das jeweilige Kind geführt und jenen Kindern, "bei denen es wichtig ist, genauer hinzuschauen, im Kindergarten eine gezielte Untersuchung durch einen Entwicklungspädiater, also einen auf Entwicklung spezialisierten Kinderarzt, angeboten.

Motorik, Wahrnehmung, Sozialverhalten

Bei der Motorik geht es etwa darum, zu sehen, ob ein Kind Einbeinspringen, Purzelbaumschlagen oder feinmotorisch einen Stift führen kann. Es kommt auch immer wieder vor, dass Kinder mit vier Jahren auftauchen und sich erst dann herausstellt, dass sie schlecht hören. Sprachliche Fertigkeiten umfassen auch Artikulation, Satzbau und Wortschatz.

"Soziales Regulieren" gehört ebenfalls dazu. Es soll zeigen, wie Kinder mit Fremden, aber auch in der Peergroup, also mit Gleichaltrigen, umgehen können.

Armut und Gewalt wirkt in Schule

In diesem Kontext ist es auch wichtig, Aspekte wie Armut und Gewalt in der Familie oder vielleicht durch Krankheit belastete Eltern zu erfassen, weil das alles auf den Schulerfolg eines Kindes durchschlagen kann, betont Vavrik: "Aus jeder Auffälligkeit des Kindes kommt man Schritt für Schritt zur Ursache, die man dann noch vorschulisch abfangen kann."

Wer soll das Vorschulgesundheitsscreening machen? Am besten interdisziplinäre Teams. Den breitesten Zugang dazu hätten vermutlich entwicklungsdiagnostisch versierte Kinderärzte. Zusätzlich sei "zu überlegen, ob man geschulte Schulärzte ins Boot holt, um den Bedarf zu decken". Vavrik plädiert außerdem dafür, 20 Prozent der geplanten Primärversorgungszentren mit Teams auszustatten, die auf Kinder spezialisiert seien und diese Screenings machen könnten.

Therapie in die Schule

Und, apropos Reform der Schule: "Es wäre günstig, Therapieangebote auch direkt in die Schulen zu verlegen. Das würde es uns leichter machen, mit diesen Kindern zu arbeiten, und den Eltern viel Zeit und Fahrerei ersparen." (Lisa Nimmervoll, 1.12.2015)