Edith (Swintha Gersthofer) in "Ungeduld des Herzens".

Foto: Nurith Wagner-Strauß

St. Pölten – Auf der Bühne des Landestheaters Niederösterreich galoppiert ein Pferd des britischen Fotografen Eadweard Muybridge (1830-1904) vorbei. Auf Leinwand gebannt, versteht sich. Der Pionier der Fototechnik hat mittels Serienbildern Bewegungsabläufe von Mensch und Tier studiert. Das fotografische Anhalten der Zeit (um sie genauer zu betrachten) hat Autor und Regisseur Thomas Jonigk in St. Pölten auf das Theater übertragen. Um herauszufinden, wie es mit Edith von Kekesfalva, der Hauptfigur in Stefan Zweigs Roman Ungeduld des Herzens, so schnell zu Ende gehen konnte. Jonigk hat die entscheidenden Momente muybridgehaft angehalten. Keine neue Idee, aber eine zulässige, die in puristisch arrangierten Tableaus gut umgesetzt wurde.

Das über der Szene thronende Schwarz-Weiß-Standbild des Pferdes (Bühne: Lisa Dässler) steht also symbolisch für die unsichtbare Zeitleiste, entlang deren Ediths tragisches Ende aufgerollt wird. Das Foto verweist aber auch auf einen gewissen Rittmeister der k. u. k. Kavallerie: Der Garnisonsoldat Anton Hofmiller (Moritz Vierboom) entfacht das Herz der jungen, gelähmten Edith (Swintha Gersthofer), ohne diese Liebe jemals ernsthaft zu meinen. Vielmehr entspringt seine Zuwendung purem Mitleid; für die junge Frau ein Todesstoß auf Raten.

Aus diesem urtragischen Moment des Missverständnisses erwächst ein sich zunehmend verfinsterndes, psychologisches Drama, das bei allen Beteiligten Beschädigungen hinterlässt und für Edith in den Tod führt. Aus diesem Ende macht die Regie kein Geheimnis; wann und wie die hoffnungslos Verliebte ihrem Leben ein Ende machen wird, das verrät die Inszenierung schon frühzeitig: Die von Jonigk erfundene Erzählerinnenrolle der Frau Engelmayer (Babett Arens), die wohl nicht ganz zufällig den Nachnamen der Dramaturgin trägt, blickt anno 1914 groß- zügig nach vor und zurück. Die schlimmsten Nachrichten begleitet sie am Klavier mit heiteren Melodien (von Mozart bis Schönberg) und wirft tröstende Blicke ins Publikum, wenn es auf der Bühne wieder ganz dicke kommt.

Sachliche Moderation

Edith ist eine energische junge Frau mit zerzausten Haaren und ansteckendem Lachen, sie wehrt jedes Bedauern ihrer Lage unmissverständlich ab. Aus Schwäche und naiver Gefallsucht wendet sich Hofmiller ihr dennoch zu, ohne die Konsequenzen auch nur im Geringsten zu bedenken.

Jonigk belässt die Erzählung im Kontext ihrer Zeit und übernimmt so auch das aus heutiger Sicht befremdliche Verständnis von einem körperbehinderten Menschen ("dieses Halbwesen", "dieses unfertige Geschöpf"). Die geradezu sachliche, entdramatisierende "Moderation" der Erzählerin gibt dem Abend seinen Charakter; sie durchbricht jede heraufdräuende Gefühlsschwere. Richtig interessant wird die Inszenierung aber erst dort, wo die Darsteller Realitätsgrenzen sprengen, etwa wenn Edith einen Traum wie toll auslebt. (Margarete Affenzeller, 30.11.2015)