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Keine echten Flüchtlinge? Manch einer sieht in den ankommenden Schutzsuchenden – hier am Grenzübergang Spielfeld Anfang November – ausschließlich eine Bedrohung.

foto:apa/scheriau

Das Parlament beschließt die Gesetze. Um die Nationalratsabgeordneten dazu zu befähigen, gibt es unter anderem das Begutachtungsverfahren.

Dieses ermöglicht Behörden, Gerichten, Vereinen, NGOs sowie Privatpersonen, zum jeweiligen Gesetzesplan Stellung zu beziehen – ist also eine Kontaktschiene zwischen "hoher" Politik und Bürgern, die in Zeiten zunehmender Entfremdung nicht oft genug zu loben ist.

Teil des Meinungsspektrums

Denn Politiker, die dazu bereit sind, können mithilfe der Begutachtung erfahren, was Bürger und Experten über einen konkreten Gesetzesänderungsplan denken – und was alles Teil des Meinungsspektrums ist.

Insofern liefert eine Stellungnahme, die im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zur geplanten Asylnovelle "Asyl auf Zeit" (Erschwerung des Familiennachzugs für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte) abgegeben wurde, Anlass zur Beunruhigung. Denn mit ihr ist eine Portion jenes in Österreich weit verbreiteten pauschalen Misstrauenssyndroms gegen "die da oben", das immer öfter mit rechtsrechter Anti-Ausländer- und Anti-"Asylanten"-Hysterie einhergeht, auf die offizielle Homepage des österreichischen Parlaments geschwappt. Dort sind sämtliche Begutachtungsstellungnahmen frei einsehbar.

"Flüchtlinge mit IS Pässen"

"Zum Unterschied zu den Vorjahren, ist die seit Monaten andauernde Flüchtlingswelle nicht mehr ein Ergebnis der Kriegswirren in Syrien sondern eine gezielte Entsendung von Flüchtlingen (aus der Türkei, Anm.). In einer konzertierten Zusammenarbeit der Türkei mit dem IS werden diese Flüchtlinge, zum geringsten Teil tatsächlich Syrer, mit syrischen IS Pässen, Videos über die Seeflucht und anderem Beweismaterial ausgestattet" (sic!), heißt es im Beitrag der Initiative Soziales Österreich, des Vereins East/West for Integration of Cultures und des Vereins zur Völkerverständigung.

Und weiter: "Die Gründe liegen einerseits in den hohen Kosten, die die Türkei von der EU auf diesem Wege einfordern möchte und einer beabsichtigten islamistisch motivierten Unterwanderung Europas durch Flüchtlinge." Hat hier jemand bei einer Pegida-Veranstaltung mitstenografiert? Oder sich nach dem letzten ORF-"Bürgerforum", an dem auch der Chef der Identitären, Alexander Markovics, teilnahm, in den Foren sozialer Medien inspirieren lassen?

Seriöser Beitrag

Nein. Hierbei handelt es sich vielmehr um einen seriös gemeinten Beitrag, der in die neueste Asylnovelle einfließen soll. Diese finden die Verfasser übrigens "prinzipiell" unterstützenswert und würden sie, wenn es nach ihnen geht, nur unwesentlich verschärfen.

Am Telefon bestärkt Reinhard Fellner, Präsident der Initiative Soziales Österreich, das oben Zitierte: "Seit heurigem August" – also seit Beginn der Massenflucht – kämen "praktisch keine echten Flüchtlinge" über den Westbalkan. Vielmehr sei die Masse an Männern ("Frauen und Kinder müssen Sie mit der Lupe suchen") von der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) mittels Geldzahlungen und Versprechungen dazu gebracht worden, Kulisse zu spielen, um "einzelnen IS-Kämpfern" den Weg nach Europa zu bahnen.

"Kommunikationslinie, die anderes nicht zulässt".

Anderslautende Erkenntnisse, etwa vom UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, das in Serbien unter den Flüchtlingen jüngst zum Beispiel einen Kinderanteil von über 40 Prozent ermittelte, lehnt Fellner ab. Solches sei Ausdruck einer "Kommunikationslinie, die anderes nicht zulässt".

Das sagt einer, der sich selbst als langjähriges SPÖ-Mitglied bezeichnet. Derzeit gehöre er der SPÖ Burgenland an, erzählt er. Diese habe ihm "politisches Asyl gegeben, weil ich die Appeasement-Politik der Wiener SPÖ nicht mehr akzeptieren konnte". Einer, der mit seiner "Initiative" schon zu einer Vielzahl parlamentarischer Begutachtungsentwürfe Stellungnahmen formuliert hat.

Aber niemals zuvor derart rechtslastig, derart verschwörungstheoretisch wie diesmal. Das ist auch als ein Symptom zu sehen: für ein fortschreitendes Umkippen einer an Politik und Gesetzeswerdung interessierten, also intellektuellen heimischen Öffentlichkeit, die sich offenbar bereits in großen Schritten der Ideologie eines Viktor Orbán angenähert hat. (Irene Brickner, 1.12.2015)