Seit 1912 werden am Lunzer See täglich Messungen durchgeführt. In der Analyse der Daten zeigen sich einige eindeutige Trends: Der See wird wärmer, die Anzahl der Tage mit Eisdecke nimmt ab, und die Schwankungen nehmen zu.

Foto: Wassercluster Lunz

Ein Wasserfloh, der voll von Algen ist

Foto: Wassercluster Lunz

Lunz – Es nieselt, die Bäume an den Hängen sind an diesem Novembertag schon fast vollständig entlaubt, nur einzelne rote Flecken sind zwischen den dunkelgrünen Nadelbäumen zu sehen. Die Badesaison ist freilich längst vorbei, und die Wintersportsaison hat in der Mostviertler Voralpenregion noch nicht begonnen. Nur vereinzelte Spaziergänger promenieren am Ufer des Lunzer Sees.

So weit, so unberührt das Erscheinungsbild. Für keinen anderen See Österreichs gibt es ein derart umfangreiches Archiv an Messdaten. Und diese zeigen ein weniger naturbelassenes Bild. Der Lunzer See ist vielfältig vom Klimawandel betroffen: Die Wassertemperatur steigt, der Nährstoffgehalt nimmt zu, und damit verändert sich das Ökosystem.

Bei der Frage, welche Rolle Seen beim Klimawandel spielen und wie sie durch diesen beeinflusst werden, ist die CO2-Bilanz ein wichtiger Gradmesser. "Seen spielen im CO2-Kreislauf eine ambivalente Rolle", sagt Martin Kainz, Gruppenleiter am Wassercluster Lunz, ein interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung von aquatischen Ökosystemen, das in zwei Gebäudekomplexen am Ufer des Sees untergebracht ist. Denn einerseits können Seen CO2 aufnehmen: Ähnlich wie Wälder wandeln auch Algen Kohlenstoffdioxid um. Andererseits produzieren Algen Nährstoffe für Bakterien. Je wärmer die Wassertemperatur, umso aktiver werden die Bakterien und umso mehr CO2 produzieren sie. Das Kohlenstoffdioxid bleibt nicht im See, sondern gelangt in die Atmosphäre – auf diese Weise tragen die Seen also auch zu einem höheren CO2-Aufkommen bei.

Tägliche Messungen

Weniger am Lunzer, dafür an anderen Seen gibt es zusätzlich Bakterien, die noch ein weiteres Gas freisetzen: Methan. "Momentan haben wir keine Ahnung, welche Rolle Seen im Klimawandel spielen", sagt Kainz, "ob sie in der Jahresbilanz mehr an Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufnehmen oder in diese abgeben". Um das zu ermitteln, wird am Lunzer See nun täglich die Methan- und CO2-Bilanz gemessen.

Weitere Fragen zu aquatischen Ökosystemen, an denen am Wassercluster Lunz gearbeitet wird, betreffen die Diversitätsforschung, Ressourcennutzung und Gewässerrenaturierung. Vier Arbeitsgruppen mit rund 50 Mitarbeitern sind am Wassercluster tätig. Dem Zentrum, das 2005 gegründet wurde, ist die Biologische Station Lunz vorausgegangen, an der von 1905 bis 2003 geforscht wurde.

Heute wird das Zentrum von der Uni Wien, der Universität für Bodenkultur und der Donau-Uni Krems getragen und vom Land Niederösterreich und der Stadt Wien gefördert. Der Lunzer See ist zudem der einzige See Österreichs, der Teil des globalen Forschungsnetzwerks Global Lake Ecological Observatory Network ist, das die Rolle von Seen in der globalen Erwärmung erforscht.

Was den Wassercluster Lunz zudem als Forschungsstandort auszeichnet, ist die Kombination von Fließ- und stehendem Gewässer, sagt Thomas Hein, Wissenschaftlicher Direktor des Wasserclusters. So wird in der Gruppe von Jakob Schelker untersucht, wie Fließgewässer CO2, Nährstoffe und Schwermetalle transportieren und wie sich Extremereignisse wie Überschwemmungen auf Bach und See auswirken.

Schwankungen steigen

Seit 1912 gibt es am Lunzer See täglich Wassermessungen, die Daten sind noch nicht gänzlich aufgearbeitet. Einige Trends lassen sich bereits ablesen, etwa dass sowohl Wassertemperatur als auch die Anzahl der eisfreien Tage ansteigen. "1920 gab es an etwa 100 Tagen eine Eisbedeckung", sagt Kainz. "Jetzt sind es im Schnitt nur an die 60 Tage."

Auch werden die Schwankungen immer größer: 2007 gab es den ersten Winter seit Aufzeichnungen, wo der Lunzer See an keinem einzigen Tag eine geschlossene Eisdecke gebildet hatte. Bereits 2013 blieb der See ein weiteres Mal nicht komplett vereist, im darauffolgenden Jahr hingegen war er an 78 Tagen eisbedeckt. "Diese Amplituden sind in den letzten 30 Jahren größer geworden", sagt Kainz.

Außerdem zeigt sich, dass sich die Temperatur im Herbst weniger stark wie im Frühjahr verändert hat, der See wird tendenziell immer früher warm. Das begünstigt Frühjahrslaicher wie den Hecht.

Die zunehmende Dominanz des Hechts im Lunzer sowie in anderen Seen spielt eine wichtige Rolle in einem anderen Arbeitsbereich am Wassercluster: Nahrungsnetzforschung. Was die Fischpopulation des Lunzer Sees angeht, zeigt sich, dass der Lunzer Seesaibling innerhalb weniger Jahre beinahe vollständig vom Hecht verdrängt worden ist. "Das ist eine Tragik", sagt Kainz, "den Lunzer Seesaibling gibt es hier seit der Eiszeit."

Auswirkungen auf Menschen

Das hat auch Folgen für den Menschen, denn der Saibling enthält mehr von den als äußerst gesund geltenden Omega-3-Fettsäuren, der Raubfisch Hecht ist dagegen schlanker und auch ärmer an Omega-3-Fettsäuren. In verschmutzten Gewässern neigt der Hecht zudem mehr als der Saibling dazu, Schwermetalle wie Quecksilber zu akkumulieren.

Der Temperaturanstieg hat möglicherweise auch Auswirkungen auf den Tourismus. "Die meisten Leute freuen sich, wenn sie hören, dass der See wärmer wird", sagt Kainz. Allerdings kommen durch den Temperaturanstieg auch mehr Nährstoffe in den See. Dadurch können Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt, entstehen. Manche davon sind für den Menschen giftig. Kainz: "Deswegen ist es wichtig, diese Forschung durchzuführen, um zu wissen, wo die Gefahren liegen." (Tanja Traxler, 5.12.2015)