Herbert Fritsch hat gut lachen. Zwischen 2011 und 2014 waren fünf seiner Inszenierungen zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Er arbeitet nun erstmals am Burgtheater.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Was ist Bradypepsie?

Fritsch: O Gott, da fängt schon das Hauptproblem an. Denn für mich ist nicht so sehr entscheidend, was ein Wort bedeutet, sondern vielmehr dessen Klang. Der vermittelt wesentlich mehr als das, was die Worte angeblich meinen. Deshalb inszeniere ich vor allem nach dem Klang, wie sich die Körper zu einem Klang bewegen. Was Bradypepsie genau ist, weiß ich jetzt gar nicht. Wohl so etwas Ähnliches wie Dyspepsie, Apepsie oder Hydropsie.

STANDARD: Sämtliche Verdauungserkrankungen, an denen der "eingebildete Kranke" bei Molière zu leiden meint.

Fritsch: Ja, genau, Wassersucht, Austrocknung, Durchfall usw.

STANDARD: Molière, der sein Theater auch aus dem eigenen Spiel heraus entwickelte, passt sehr gut zu Ihrem Theaterverständnis. Warum hat es mit dem "eingebildeten Kranken" doch so lange gedauert?

Fritsch: Um den "eingebildeten Kranken" habe ich einen großen Bogen gemacht – aus ganz persönlichen Gründen. Aber nachdem ich mit Joachim Meyerhoff in Hamburg "Die Schule der Frauen" gemacht habe, fasste ich Mut.

STANDARD: Molières Truppe hat zu einer Zeit gespielt, als in Paris viele Ballhäuser in Theater umgewandelt wurden, auch das Palais Royale, in dem "Le Malade imaginaire" 1673 uraufgeführt wurde. Sehen Sie sich dieser Tradition des Feierlichen verpflichtet?

Fritsch: Ich fühle mich jedenfalls von Molière vollkommen verstanden. Ich stehe aber sehr gern in der Tradition des Burgtheaters, Josef Kainz vergöttere ich. Das interessiert mich tausendmal mehr als viele moderne Sachen. Ich bin ein konservativer Regisseur.

STANDARD: Gehen Sie an collagehafte Abende anders heran als an klassische Stücktexte?

Fritsch: Nein, denn auch Abende mit Nummerncharakter, wie sie zum Beispiel in der Barockoper üblich waren, haben einen Bogen. Bei Molière ist das Stück ja auch zusammengesetzt aus einzelnen Uhrwerken. Lauter kleine Mechaniken, die ganz sauber funktionieren. So eine Komödienmaschine findet man in der zeitgenössischen Theaterliteratur kaum. Ich stehe aber voll ein für das So-tun-als-ob. Arm abhacken! Grimassen schneiden! Wir betrügen die Leute bis zum Gehtnichtmehr.

STANDARD: Als Regisseur erspielen Sie mit dem Ensemble den Text. Einen Plan muss es aber geben.

Fritsch: Es schwebte mir nichts vor. Ich wusste zu Beginn nur, dass ich Joachim Meyerhoff besetzen möchte. Erst die Schauspieler, die so nach und nach dazukommen, inspirieren mich und treiben alles weiter. Natürlich habe ich eine grundsätzliche Idee von Spielweisen. Ich bin ja nach wie vor nicht wirklich ein Regisseur, sondern ein Schauspieler. Und als solcher versuche ich die Spieler zu coachen. Ich habe also kein Konzept, in das ich Leute hineinzwänge. Ich will ermutigen zum Fratzenschneiden, zum Körperverrenken, um damit noch viel mehr zu erzählen. Es kommt doch immer auf das Dazwischen an.

STANDARD: Können Sie dieses "Dazwischen" näher erklären?

Fritsch: Die Commedia dell'arte zum Beispiel: Ein Pärchen will zusammenkommen, der böse Onkel ist dagegen, dann kommen ein paar Hanswurste, machen Faxen, und am Ende können sie doch zusammen sein. Die Story ist immer simpel, aber das, was die Spieler dazwischen artistisch erzeugen, das sagt tausendmal mehr aus als die Worte im Text. Das Artistische ist für mich etwas sehr entscheidendes, die große Präzision, mit der Sachen stattfinden. Jede Szene muss ein Kunststück sein! Theater ist nicht der Ort der Dichterverehrung und Literaturzelebration. Theater entsteht im Theater, nicht am Schreibtisch.

STANDARD: Ihr Theater wird oft als "schrill" oder "überdreht" beschrieben. Fühlen Sie sich zu eindimensional betrachtet?

Fritsch: Ja, doch. "Klamauk" heißt es auch oft. Niemand würde Picassos "Guernica" als albern bezeichnen, auch wenn die einzelnen Figuren Witzfiguren sein könnten. Sie sagen dennoch etwas sehr Dramatisches aus. Ich denke, man könnte mit meinen Mitteln sicher auch eine Tragödie machen. Ich werde das eines Tages probieren.

STANDARD: Sie mögen den Begriff "Sprechtheater" nicht. Wie werden Sie mit Moliére dagegen vorgehen?

Fritsch: Bunt, laut und schnell.

STANDARD: Sie schätzen das Pathos der Monologe von Alexander Moissi oder Josef Kainz und wollen keine Realitätsnähe auf der Bühne. Sind Sie gewissermaßen ein Befürworter des falschen Tons?

Fritsch: Ja, in der Tat. Ich bin auch ein Befürworter von Bad Acting! Wenn das mit Selbstbewusstsein gemacht wird. Da steckt viel drin. Ich will diese "ehrlichen" Bilder brechen, sie zerreißen. Übrigens auch Fernsehbilder. Alle haben dort ein und dasselbe Gesicht, ein und dieselbe Pose; es gibt keinen Ausdruck mehr, keine Gestikulation. Wie langweilig! Wenn einer eine Grimasse schneidet, haben alle sofort Angst. Der Harlekin hat in manchen Masken an der Stirn noch die zwei Höcker, des Teufels Hörner. Früher musste der Teufelsdarsteller außerhalb des Friedhofs begraben werden, so viel Angst hatte man vor ihm. Das wirkt bis heute noch nach. Harlekins wurden hingerichtet für das, was sie gespielt, für die Freiheiten, die sie sich genommen haben.

STANDARD: Was nimmt man von Ihrem Abend mit nach Hause?

Fritsch: Das Theater macht uns nicht besser. Wir hätten genug Zeit gehabt, das Gegenteil zu beweisen. Ich finde es schön, dass das Theater verrucht, kriminell und bis zur Hysterie lustig sein kann. Es ist keine Universität, keine Schule, kein Krankenhaus, sondern ein kultischer Ort. Wir nehmen vom Theater keineswegs unser Päckchen schön mit nach Hause und sprechen dann nochmal darüber. Das ist völliger Blödsinn. Es muss nur eines: Spaß machen, ein Rausch sein. (Margarete Affenzeller, 2.12.2015)