Was auf dem Berg funktioniert, sollte auch für die Stadt gut genug sein: hier ein Bild von Freerider Flo Orley (siehe Helden des Sturzflugs).

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Mode für die Fußgängerzone: Outfit von Fendi, Schuhe von Car Shoe, Tasche von Filson, Haube von Canada Goose.

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Vor mehr als einem Jahr wurden sie aus den Wäldern gejagt. Die "Lumbersexuals", die Holzfällermänner mit den Bärten, den Karohemden, den Tätowierungen und den schweren Lederschuhen, überrannten damals die Medien. Die naturverbundenen Hipster sahen aus, als ob sie eben erst der kanadischen Wildnis oder der amerikanischen Westküste entkommen seien. Ihre Geschichte ist schnell nacherzählt: Erst machten sie Schlagzeilen, dann vermehrten sie sich und rückten schließlich in die Metropolen vor.

Und mit ihnen zog auch ihr Lebensgefühl in den urbanen Concept-Store ein: Funktionale Gore-Tex-Outdoorjacken, Wanderschuhe, Retro-Rucksäcke mit Ledergurten liegen da heute neben der Mode von Comme des Garçons, Acne, A.P.C. Die Hersteller? Sie heißen im Wiener "Arnold's" Canada Goose und im "The Listener" in Frankfurt Patagonia und Arc'teryx Veilance. Der "Soto Store" in Berlin-Mitte hat in der dritten Saison ausgesuchte Stücke von The North Face im Programm.

Innovative Outdoor-Labels

Mit Jack Wolfskin, dem Multifunktionsjackenliebling Nummer eins in unseren Fußgängerzonen, hat das zum Glück gar nichts zu tun. Warum aber gilt funktionales Outdoor plötzlich als hip? Sebastian Schwarz, Fachredakteur beim Mode- und Wirtschaftsmagazin "Textilwirtschaft", erklärt: "Der cleane Look so mancher Outdoor-Hersteller überkreuzt sich mit dem Athleisure-Trend in der Mode." Zwar gebe es nach wie vor auf Vertriebsebene eine klare Trennung zwischen Mode und Outdoor, einige Labels würden allerdings immer häufiger von Modeeinkäufern eingekauft. "Oft hat das auch damit zu tun, dass es innovative Outdoor-Labels gibt, die auf Modemessen wie der Pitti Uomo in Florenz präsentieren", sagt Schwarz.

Noch dazu polieren Hersteller wie The North Face ihr Image mit regelmäßigen Kooperationen mit Streetwear-Labels wie Supreme auf. Und auch andersrum wird ein Schuh daraus. Modeunternehmen wie Acne und Car Shoe haben Schuhe im Programm, die den Wanderstiefeln von Luis Trenker anno 1938 in "Der Berg ruft" nahekommen. Und das High-Fashion-Segment? Tastet sich Saison um Saison an die Funktionswarenästhetik heran: Im vergangenen Jahr waren Doppelgänger des Fleecejacken-Klassikers von Patagonia bei Louis Vuitton und Patrik Ervell zu sehen, in diesem Winter zog Fendi nach.

Virgil Abloh, der Designer hinter dem Label Off-White und nebenbei auch Creative Director von Kanye West, trägt in diesem Winter sogar richtig dick auf. In seiner Kollektion finden schwere Bergsteigerschuhe, Wanderrucksäcke und Streetstyle-Elemente zusammen.

Das sagt Bergfuchs

Die Modewelten scheinen durchlässiger geworden zu sein. Der Trend zum "Urban Outdoor" ist bei Bergfuchs, dem klassischen Outdoorspezialisten in Wiens siebentem Bezirk, "zweifelsfrei zu spüren", sagt Gregor Schwenk. Dabei würden Hersteller wie Arc'teryx und Patagonia von der modebewussten Klientel bevorzugt – "wohl auch wegen ihrer cleanen Optik", vermutet der Bergfuchs-Chef.

Dass Outdoor heute tatsächlich rund um die Uhr getragen wird, bestätigt Matthias Knaus, Bergführer beim Verein "Zeit für draußen", aus der Praxis: "Klassische Bergsportmode von Salewa, Mammut, Schöffel funktioniert heute auf dem Berg genauso wie in Innsbruck auf den Christkindlmarkt", und zwar sowohl als robuster Warmhalter als auch als schickes Prestigestück.

Das Naturerlebnis, das "hinaus in die Wildnis, hinauf auf die Berge", ist heute Bestandteil einer rundum ästhetisierten Outdoor-Kultur. Sie schließt nahtlos an die distinktionsbeflissene Lebenswirklichkeit in Wien-Neubau, Berlin-Prenzlauer Berg, Brooklyn New York an. Mit Nick Nolte und Robert Redford, die im Kino gerade mit den Bären picknicken, hat sie wenig gemein. Das lässt sich in dem Bildband "The Outsiders", 2014 im Gestalten-Verlag erschienen, nachvollziehen. Das Buch breitet auf 260 Seiten aus, wie hip das Wandern, Zelten, in der Hängematte-Rumliegen vor glühenden Sonnenuntergängen, Bergseen und -panoramen aussehen kann. Dass das Cover wie ein Abklatsch von Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" aussieht? Eh klar, der wird ja auch gern auf Instagram, dem digitalen Fotoalbum der Millennials, zitiert.

Gestalten

Der Geschmack modisch versierter Hipster

Die Outdoor-Mode von heute muss mehr sein als nur wetter- oder wasserfest, mehr als nur funktional und atmungsaktiv. Technische Superlative allein beeindrucken die junge Kundschaft, jene in den Achtzigern und Neunzigern Geborenen, nicht mehr. Sie müssen ganz woanders abgeholt werden. Es seien schwedische Labels wie Peak Performance, Fjällräven und J. Lindeberg, die schon seit einiger Zeit verstünden, den Geschmack modisch versierter Hipster zu treffen, erklärt Sebastian Schwarz von der "Textilwirtschaft".

Doch auch an der amerikanischen Westküste herrscht Aufbruchstimmung. Im Bundesstaat Oregon, der im Norden an Washington grenzt und im Westen an den Pazifik drückt, sind rund 15.000 Menschen in der Sport- und Outdoor-Industrie beschäftigt. Darunter viele große Namen: Sportartikelgigant Nike hat seinen Sitz in Beaverton, Columbia Sportswear wurde in Portland gegründet.

In den letzten Jahren vernetzt sich hier nun auch die innovative Outdoor-Branche. Bei dem Struktur-Event machen sich seit 2013 Outdoor-Unternehmen Gedanken über ihr Design. In San Francisco tun sich junge Start-ups zu Events wie "Outdoor SF" zusammen.

Generation Outdoor

Was hier wie dort gilt: Die neue Generation Outdoor fühlt sich von Retro-Appeal und Fortschrittsglauben gleichermaßen angesprochen. Handgenähter Ledergürtel und dazu ein iPhone in der Tasche? Passt. Für Unternehmen aus dem Outdoor-Segment lohnt es sich nicht nur, die Hightech-Keule rauszuholen. Retro-Schriftzüge plus Firmen-Gründungsjahr lassen vor allem kleine Hersteller groß erscheinen.

Das amerikanische Unternehmen "Filson – since 1897", das eigentlich für Sportschützen, Jäger und Angler produzierte, wird jetzt von urbanen Großstadtmännern umarmt. "Der gehypte Holzfäller-Look der letzten Jahre spielt diesem Trend zum Robusten natürlich zu", erklärt Jakub Arnolds, der in Wien-Neubau sein Männermodegeschäft "Arnold's" betreibt.

Das Angebot vieler Labels, die auch bei ihm zu haben sind, diene sich den neuen, modebewussten Kunden aber nicht an, sagt er. "Firmen wie Filson oder Red Wing produzieren seit Jahrzehnten fast unveränderte Kollektionen", allerdings würden sie zurzeit anders wahrgenommen, meint der Shop-Inhaber.

Besonders gut kommt das unverwüstliche Outdoor-Zeug bei den konsumwütigen Japanern an. In einem Outfit, mit dem Reinhold Messner einen Achttausender besteigen würde, spazieren sie durch die Betonschluchten Tokios. "Popeye", das hippe Magazin für "City Boys", empfiehlt dazu zum Beispiel immer wieder Patagonia, Spitzname "Patagucci". Das im kalifornischen Ventura ansässige Unternehmen, das im Gegensatz zu Herstellern wie Arc'teryx und The North Face keine modische Nebenlinie fährt, gilt als besonders authentisch. Und wenig dekoriert.

"Japaner bevorzugen minimalistisches Outdoor und spezielle Hersteller", meint Bergführer Matthias Knaus. Und sie haben einen Sinn für die feinen Unterschiede. Wenn er in Japan in einem Skigebiet in Sachen von Norrøna, Patagonia oder Arc'teryx unterwegs sei, werde er als lässiger Insider registriert. Mit einer Jacke von Mammut? Würde ihm so etwas nicht passieren. (Anne Feldkamp, RONDO, 7.12.2015)