Die meisten Hasspostings finden auf Facebook statt, oft mit Klarnamen.

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Die ehemalige FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter wurde infolge von Facebook-Aktivitäten aus der FPÖ ausgeschlossen.

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Parteiausschlüsse, Entlassungen, neue Gesetze und Zwiegespräche auf der Weltbühne: Nie zuvor war das Thema "Hass im Internet" so präsent wie in den vergangenen zwölf Monaten. Zwar handelt es sich dabei mitnichten um ein neues Phänomen, doch 2015 wurde die Materie durch eine Armada von "Hasspostern" mit voller Wucht auf die Agenda von Massenmedien und Politik geschleudert. Die emotional aufgeladene Debatte, wie mit der Flucht von Millionen Menschen gen Europa umgegangen werden soll, polarisierte die Gesellschaft – und brachte zigtausende menschenfeindliche Statusmeldungen. Die wichtigsten Fakten zum Hass im Netz in der Übersicht.

1. Nicht alles ist Verhetzung, aber einiges ist strafbar

Oftmals werden "Hasspostings" direkt mit dem Strafbestand der Verhetzung in Verbindung gebracht. Dieser Paragraf, der ab 1. Jänner verschärft wird, verbietet es, zu Gewalt gegen bestimmte Gruppen aufzurufen oder den Hass gegen sie "aufzustacheln". Die Delikte in diesem Bereich spiegeln allerdings nur einen Ausschnitt des Spektrums wider: Hasspostings können beleidigen, verleumden oder eine Drohung darstellen. Zahlreiche Memes mit dem Antlitz von Politikern oder Prominenten verletzen außerdem deren Bildnisschutz. Schließlich ist auch das wissentliche Verbreiten von falschen Gerüchten strafbar, für nationalsozialistische Wiederbetätigung ist ebenso ein eigener Paragraf vorgesehen.

2. Die Justiz hat mehr zu tun als je zuvor

Mit Spannung werden die Statistiken des Verfassungsschutzes für das Gesamtjahr 2015 erwartet. Im Sommer hieß es noch, dass die Anzeigen wegen Verhetzung auf dem Niveau des Vorjahres liegen dürften – in dem es allerdings einen signifikanten Anstieg um dreißig Prozent gegeben hatte. Vor einigen Wochen hieß es allerdings auf Anfrage des STANDARD, dass eine "deutliche Steigerung" bei den Delikten der Verhetzung und nationalsozialistischer Wiederbetätigung gebe.

3. Theoretisch kann die Justiz Hasspostings leichter verfolgen

Ab Jahresbeginn 2016 gelten im Bereich "Verhetzung" härtere Regeln. Künftig kann auch das "Aufstacheln von Hass" gegen nicht eindeutig definierte Gruppen bestraft werden. Bisher war es so, dass etwa konkret gegen bestimmte Nationalitäten gehetzt werden musste, nun werden im Umkehrschluss die "fehlenden Kriterien der Rasse (sic!), der Hautfarbe, ..." als Grund mitaufgenommen. Das heißt: Ab 1. Jänner ist beispielsweise Hetze gegen "Ausländer" (Nichtösterreicher) strafbar. Außerdem dürfen Völkermorde und Genozid nicht geleugnet oder verharmlost werden. Ebenso wurde der Personenkreis, der als "Publikum" für Hetze nötig ist, auf 30 Menschen herabgesetzt.

4. Praktisch stehen die Gerichte vor großen Problemen

Oftmals sind Prozesse wegen problematischer Postings das erste Mal, dass Richter beruflich mit Facebook konfrontiert werden. Dann geht es um elementare Fragen, die für den Angeklagten aber viel entscheiden: etwa, ob ein Smiley die Aussage entkräftigt. Unklar ist momentan auch, ob eine "Gefällt mir"-Angabe strafbar ist oder wie sehr sich das Teilen eines Beitrags vom Verfassen der Meldung unterscheidet. Es gibt potenziell verhetzende Meldungen, die hunderte, wenn nicht tausende Male geteilt werden – es ist allein aufgrund des Aufwands kaum vorstellbar, dass die Justiz gegen alle diese Nutzer ermittelt.

5. Das virtuelle Leben im richtigen

Das Jahr 2015 hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass virtuelle Aktionen reale Konsequenzen haben können. Der Cyberspace ist kein Raum, in dem man sich gewissenlos austoben kann – zumindest wenn man nicht mehrere Verschlüsselungs- und Anonymisierungsdienste nutzt, um nicht vom Radar erfasst zu werden. Im Sommer gab es eine Welle an Entlassungen, die direkt auf Hasspostings zurückzuführen sind. Die Grünen wollen mit einer Reihe an Anzeigen klarmachen, dass Todesdrohungen gegen ihre Parteichefin Eva Glawischnig oder das Verbreiten falscher Zitate kostspielige Prozesse nach sich ziehen können.

6. Das Ende der Klarnamendebatte

Vor anderthalb Jahren hatte in Österreich die Diskussion um Klarnamen ihren Höhepunkt erreicht. Im Mai 2014 rief der prominente PR- und Lobbyingunternehmer Wolfgang Rosam eine Initiative namens "Die Meinungsmutigen" ins Leben, die für Klarnamenpflicht eintrat. Kultur- und Medienminister Josef Ostermayer begrüßte die Aktion in der "Kronen Zeitung". Die Proponenten glaubten, Klarnamen würden für respektvollere Onlinepostings sorgen. Heftige Kritik richtete sich auch gegen den STANDARD, der an seinem Modell von anonymen Nicknames festhielt. Mittlerweile zeigt sich: Facebook-Nutzer treten mit ihrem echten Namen auf, veröffentlichen Informationen zu Wohnort und Arbeitgeber – und scheuen trotzdem nicht davor zurück, Hasspostings abzusondern.

7. Meinungsfreiheit heißt nicht, alles sagen zu dürfen

Oftmals verteidigen sich Nutzer, denen Hasspostings vorgeworfen werden, mit dem "Recht auf Meinungsfreiheit". Doch kein Freiheitsrecht sei absolut, erklärt Ingeborg Gerda Gabriel, Vorständin des Instituts für Sozialethik auf der Universität Wien. "Freiheitsrechte werden immer gegeneinander abgewogen", sagt Gabriel, die juristische Konsequenzen als "letzte Ebene", aber ethisch vertretbare erzieherische Maßnahme bezeichnet. Einschränkungen der Meinungsfreiheit gibt es beispielsweise auch im Urheberrecht oder beim Landesverrat. Dass in den USA eine weitaus geringere Schranke für die Strafverfolgung von Aussagen besteht, ist laut Gabriel mit "historischen Gegebenheiten" zu erklären.

8. Die Renaissance des Nazi-Jargons

Demokratiepolitisch gefährliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit gibt es dort, wo Machthaber nicht öffentlich kritisiert werden dürfen – beispielsweise in totalitären Diktaturen. Daher stammen eine Reihe von Worten wie "Blockwart" oder "Denunziant" aus solchen Zeiten. Im Umgang mit diesen Begriffen ist Vorsicht angebracht: Denn der Blockwart meldete vermeintliche "Vergehen" den Nazis, die ein diktatorisches Unrechtssystem mit politisch instrumentalisierter Justiz führten. Demgegenüber wendet sich derjenige, der vermeintliche "Hasspostings" zur Anzeige bringt, an einen demokratisch legitimierten Rechtsstaat.

Der "Gutmensch" taucht als Begriff zwar nicht in der NS-Zeit auf, das hämische Voranstellen des Wortteils "Gut-" ist allerdings mit "Die Gutmeinenden" schon in Adolf Hitlers "Mein Kampf" zu finden.

9. Der Aufstieg der Pseudomedien

Blogs, "politisch inkorrekte" Nachrichtenseiten und als Satire getarnte Verleumdungskampagnen erlebten 2015 einen wahren Aufschwung. Wer sich die Zugriffsstatistiken von unzensuriert.at oder pi-news.net ansieht, erkennt eine klare Kurve, die in den vergangenen anderthalb Jahren stark nach oben stieg. Wo im echten Leben "Lügenpresse" gerufen wird, werden online diese Seiten angeklickt.

Während nichts dagegen spricht, sich auch abseits der Massenmedien zu informieren (im Gegenteil!), sollten Nutzer sich kritisch mit ihren Quellen beschäftigen. So basiert eine Vielzahl der "Nachrichten", die auf solchen Seiten verbreitet werden, auf undifferenziert übernommenem Hörensagen sowie gefälschten oder aus dem Kontext gerissenen Quellen. Die Meldungen taugen nur dazu, die Gesellschaft weiter zu spalten – und schüren den Hass, der in menschenfeindlichen Postings Ausdruck findet.

10. Die Politik wirkt machtlos, Facebook demotiviert

Auf keiner anderen Plattform wird so ausgiebig gegeifert wie auf Facebook. Bei der Zahl an Nutzern ist die Poleposition kein Wunder. Doch das soziale Netzwerk zeigte sich zusätzlich unwillig, scharf auf den lodernden Hass zu reagieren. Erst nach Appellen aus der Spitzenpolitik – etwa durch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel – änderte der IT-Konzern seinen Kurs und versprach Besserungen. Die Auswirkungen sind bisher allerdings kaum zu bemerken. Kritisiert wird an Facebook vor allem, dass das soziale Netzwerk Meldungen nicht löscht, die von zahlreichen anderen Nutzern gemeldet wurden – obwohl Facebook in den Gemeinschaftsregeln Hetze untersagt.

Will man Facebook keinen Unwillen unterstellen, muss man von einer Überforderung ausgehen. Die Mitarbeiterzahl, die sich um Postings kümmern, dürfte der Masse an gemeldeten Kommentaren nicht entsprechen. Doch finanziell wäre Facebook locker in der Lage, hier mehr Ressourcen freizumachen. Die "Welt" hat Facebook unlängst in Irland besucht, wo "hunderte Mitarbeiter" gemeldete Hasspostings kontrollieren sollen. Zu sehen waren die Mitarbeiter nicht. Konkrete Beispiele, warum etwas (nicht) gelöscht wurde, wollte Facebook auch nicht zeigen – aus Datenschutzgründen. "War das der Anfang einer Unterhaltung oder nur ein Placebo?", fragte die "Welt" ratlos.

11. Kann die "Gegenrede" funktionieren?

Doch Facebook hat noch ein anderes Argument in petto: Viel wichtiger als zu löschen sei es, Hasspostern zu widersprechen, so das soziale Netzwerk. Prinzipiell kein schlechter Ansatz: Auch Sozialethikerin Ingeborg Gerda Gabriel empfiehlt, vor einer Meldung das Gespräch zu suchen. "Dazu braucht es aber Zivilcourage", sagt Gabriel, "dieser Diskurs läuft immer weniger." Die Gesprächskultur ginge zusehends verloren. "Mir kommt vor, momentan gibt es nur die Einstellungen, alle Äußerungen zu tolerieren oder im Gegenteil sofort zum Kadi zu laufen", sagt Gabriel, "doch es gäbe auch noch eine Zwischenebene: vernünftig miteinander reden." (fsc, 27.12.2015)