Eine Aufnahme im Ort Bento Rodrigues im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien einen Tag nach dem Dammbruch. Die ökologische Katastrophe wird sich noch ausweiten, meinen Wissenschafter.

Der Biologe Marcos Freitas von der Universität in Rio de Janeiro malt kein Schreckensszenario, sondern beschreibt die Folgen des bislang schwersten Minenunfalls in der Geschichte Brasiliens: "Wenn der Schlamm ankommt, stirbt jedes Leben, binnen Minuten." Vor etwa drei Wochen brachen in der Eisenerzmine Samarco im Bundesstaat Minas Gerais die Dämme eines Rückhalte- und Klärschlammbeckens. Ein "brauner Tsunami" aus 62 Millionen Litern giftigem Schlamm überrollte die Ortschaft Bento Rodrigues. Zwölf Menschen starben, elf gelten noch als vermisst.

Doch die grau-braunen Schlammmassen ließen sich nicht aufhalten und fließen in den Fluss Rio Doce. Der 850 Kilometer lange "süße Fluss" ist die Lebensader der Region. Jetzt ist er ein "biologischer Friedhof", wie Freitas sagt. Inzwischen hat der giftige Schlamm die Atlantikküste erreicht und dort eine weitere Umweltkatastrophe ausgelöst.

Das für das Unglück verantwortliche Unternehmen Samarco, dessen Eigner die australisch-britische BHP Billiton und der brasilianische Bergbaukonzern Vale sind, wiegelt ab. Es fänden sich keine gesundheitsschädigenden Stoffe in dem Schlamm, ließ das Unternehmen wissen. Es seien Wasserproben genommen worden, und diese hätten keine höhere Schwermetallkonzentration ergeben. Nicht nur Umweltexperten, sondern auch die brasilianische Staatsanwaltschaft weisen die Behauptungen als falsch zurück.

Streit um Entschädigung

Experten fanden unter anderem Überreste von Arsen, Chrom, Nickel, Blei und Quecksilber in dem Schlamm. "Das Ausmaß der Umweltschäden entspricht etwa der Größe von 20.000 olympischen Schwimmbecken gefüllt mit giftigem Schlamm", stellt der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt, John Knox, klar. "Außerdem gibt es eine Kontamination der Böden, Flüsse und des Wassersystems auf mehr als 850 Kilometern."

Der brasilianische Staat gab jetzt bekannt, die verantwortlichen Unternehmen auf rund fünf Milliarden Euro (20 Milliarden Reais) Schadenersatz zu verklagen. Das Geld soll in einen Umweltfonds fließen. Der Fonds solle für die Dauer von zehn Jahren angelegt und bei Bedarf verlängert werden, sagte Umweltministerin Izabela Teixeira. Sollten sich die Unternehmen nicht darauf einlassen, könnten Konten blockiert werden. Die Regierung geht von mindestens 25 Jahren aus, bis die Umweltschäden beseitigt sind. "Wir haben eine wirklich gute Gesetzgebung, die sehr fortschrittlich in Bezug auf die Verantwortlichkeit für solche Umweltkatastrophen ist", sagte Anwalt Mauricio Guetta von der Umweltorganisation Instituto Socioambiental. "Aber wir haben ein Problem bei der Umsetzung", fügt er hinzu. 97 Prozent aller verhängten Strafen würden nicht gezahlt.

Die mehr als 200.000 Menschen, die weiterhin ohne Trinkwasser sind, und die Fischer, die ihre Existenzgrundlage verloren haben, fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen. Auch Brasiliens politisch angeschlagene Präsidentin Dilma Rousseff bewies ein miserables Krisenmanagement. Erst nach mehr als einer Woche flog sie im Hubschrauber über das Unglücksgebiet und zitierte danach die zuständigen Gouverneure zum Rapport. Auf der Weltklimakonferenz in Paris versprach sie der Weltöffentlichkeit, dass Brasilien die Unternehmen für ihr "unverantwortliches Handeln" verklagen werde.

Millionen Tonnen tote Fische

"Es ist unser Fukushima", sagt einer der Fischer verbittert. In ihrer Verzweiflung versuchen sie mit hunderten Freiwilligen, Fische in nahe Lagunen umzusiedeln. Doch sie haben den Kampf gegen die Zeit verloren: Erst in der vergangenen Woche wurden neun Millionen Tonnen verendeter Fisch aus dem Rio Doce geborgen.

Der Umweltbiologe André Ruschi ist überzeugt, dass es mindestens 100 Jahre dauern wird, bis die giftigen Rückstände aus dem Rio Doce verschwunden sind. Doch genauso verheerend seien die Auswirkungen für den Atlantik, in den die Schlammlawine jetzt abfließe. Über Jahre hinweg würden auf einer Fläche von 200.000 Quadratkilometern die giftigen Rückstände nachweisbar sein. Die Giftstoffe würden durch Wellen und Niederschläge im Ozean verteilt, sagt Ruschi.

In Espirito Santo mündet der Rio Doce in den Atlantik. Der Strand, einstiges Surferparadies und Umweltrefugium, ist nachhaltig verseucht. Für viele Jahre wird es hier weder Schildkröten, Krebse noch Muscheln geben. Auch die vor der Küste gelagerten Korallenriffe werden den giftigen Schlamm nicht überleben.

Die ehemalige Umweltministerin und zweifache Präsidentschaftskandidatin Marina Silva ist überzeugt, dass kriminelle Machenschaften hinter dem "größten Umweltverbrechen in Brasilien" stecken. Auch Ingenieure der Umweltbehörde Ibama stellen klar: "Natürlich hätte das Unglück verhindert werden können. Ein Damm bricht nicht von einem Tag auf den anderen."

Samarco ließ seine Anwälte erklären, dass alle regelmäßig durchgeführten Kontrollen keine Anomalitäten aufgewiesen hätten. Es liegt jetzt an der Staatsanwaltschaft, dem Unternehmen Fahrlässigkeit nachzuweisen und es wegen eines Umweltverbrechens anzuklagen. Das kann Jahre dauern. Das juristische Kräftemessen hat erst begonnen. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 3.12.2015)