Peter Bale über internationale Zusammenarbeit: "Journalisten neigen dazu, einsame Wölfe zu sein."

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Wien – Seit 26 Jahren untersucht das Center for Public Integrity (CPI) in Washington, D. C. die Rolle des Geldes in der US-Politik. Die CPI-Unterorganisation International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) deckte im Februar unter dem Titel Swissleaks ein globales Steuerhinterziehungsystem auf. CPI-Chef Peter Bale war auf Einladung des Europäischen Forums Alpbach und des ORF in Wien.

STANDARD: Die ursprüngliche Idee des CPI war, die Rolle des Geldes in der Politik der USA zu untersuchen. Nun wird dort mehr Geld eingesetzt als je zuvor, besonders von Unternehmen. Haben Sie versagt?

Bale: Es liegt nicht an uns, Veränderungen zu bewirken. Wir schaffen Umstände, unter denen Leute wütend genug sind, um Veränderungen zu verlangen. Aber Sie haben Recht, das Gleichgewicht hat sich zugunsten der Unternehmen geändert. Das Geld infiziert die Politik auf allen Ebenen: Regulierung von Schadstoffen, das Gesundheitssystem, die Verteidigunsindustrie – das hängt alles mit dem Geld von Unternehmen zusammen, das in die Politik fließt und die Gesetzgebung beeinflusst.

STANDARD: Sie haben das Journalistenkonsortium ICIJ in einem Blogpost als die "wahrscheinlich effektivste journalistische Zusammenarbeit" bezeichnet. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Bale: Journalisten neigen dazu, einsame Wölfe zu sein. Sie arbeiten gerne allein. Das ICIJ schaffte es vor allem in den letzten vier Jahren, gleichgesinnte Journalisten zusammenzubringen, die gemeinsam an einer Geschichte arbeiten. Swiss-Leaks etwa war die Arbeit von mehr als 100 Journalisten, die sich durch 28.000 Seiten geleakter Dokumente arbeiteten.

STANDARD: Wie schwierig ist es, die Art der einsamen Wölfe zu ändern?

Bale: Man muss daraus Kapital schlagen, dass sich jeder Journalist für eine Geschichte bindet, wenn er das Potential sieht, dass sie gut für ihn und seine Publikation ist. Dann tut er, was nötig ist, um die Geschichte zu bekommen. Journalisten sind immer noch einsame Wölfe, aber sie jagen dann im Rudel.

STANDARD: Sie haben vor Ihrem Job beim CPI bei Reuters, Microsoft und der britischen "Times" gearbeitet – alles profitorientierte Unternehmen. Haben Sie mit der bürgerfinanzierten Non-Profit-Organisation jetzt den heiligen Gral des unabhängigen Journalismus gefunden?

Bale: Es ist sehr unabhängig, das stimmt. Ich denke einerseits, dass kommerzielle Wirtschaftlichkeit eine gute Möglichkeit ist, unabhängig zu sein. Unabhängigkeit ist aber bis zu einem gewissen Grad auch Einstellungssache. Wir sind sehr vorsichtig, von wem wir Geld nehmen. Das ist nicht einfach – die Leute spenden ihr Geld mit einer Absicht, sie wollen Veränderungen erreichen.

STANDARD: Ist es für investigativen Journalismus vorteilhaft, sich durch Spenden zu finanzieren?

Bale: Ich glaube schon. Investigativer Journalismus ist sehr teuer, weil er viel Zeit und besondere Fähigkeiten verlangt. Er passt oft nicht zu einem kommerziellen Umfeld, weil er nicht toll fürs Anzeigengeschäft ist. Die Geschichten sind wichtig, aber sie werden deshalb nicht am meisten gelesen. Also ja, non-profit ist eine gute Art, einen solchen Journalismus zu finanzieren. Allerdings müssen Organisationen wie meine mit Verlegern zusammenarbeiten, um das Material zu veröffentlichen – es reicht nicht, die Geschichten auf unsere Website zu stellen. Deswegen arbeiten wir mit Vice, der Washington Post, Facebook oder The Atlantic zusammen, um die Geschichten zu verbreiten.

STANDARD: Der deutsche Journalist Hanns Joachim Friedrichs sagte einmal: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache". Machen Sie sich mit einer Sache gemein?

Bale: Nach 15 Jahren bei Reuters habe ich jegliche politische Meinung sublimiert, weil ich genau an Friedrichs’ Position glaube. Jetzt ist es ein bisschen anders. Ich glaube, dass Journalisten instinktiv die Rolle des Underdogs unterstützen oder an sie denken. Sie versuchen instinktiv, noch nicht erzählte Geschichten zu erzählen. Und die am wenigsten repräsentierten Geschichten sind jene der Armen und Unterdrückten. Ich glaube, dass vor allem Journalisten in Führungspositionen wie ich für Pressefreiheit eintreten können und sollten. Mit dieser Sache dürfen wir uns gemein machen.

STANDARD: Telekommunikation wird heute massenhaft überwacht, gleichzeitig haben wir Zugriff auf riesige Datenmengen und können weltweit zusammenarbeiten. Ist der Job investigativer Journalisten heute schwieriger oder einfacher?

Bale: Eine Kombination aus beidem. Wenn dir jemand einen USB-Stick mit 50.000 Seiten Dokumenten bringt, zu denen du sonst nie Zugang hättest, ist das ein Vorteil. Außerdem können wir mit Leuten auf der ganzen Welt zusammenarbeiten. Ja, die Werkzeuge derer, die das überwachen wollen, sind gewaltig. Ich glaube nicht, dass wir sie je ganz besiegen können. Man muss Vorsichtsmaßnahmen treffen – etwa einen Computer gar nicht erst ans Internet anschließen. Man sollte paranoid sein. Das Problem ist, wenn man sein Leben von der Paranoia regieren lässt, wird man verrückt.

STANDARD: Lässt man die Paranoia den Journalismus regieren, macht es den wohl auch kaputt.

Bale: Ja. Obwohl es erstaunlich ist, wie oft tatsächlich eine Verschwörung hinter etwas steckt. Es gibt Verschwörungen und – auf Englisch sagen wir – Cock-ups (Pfuschereien, Anm.). So oft passieren Behörden einfach Fehler – und manchmal ist es wirklich eine Verschwörung. (Sebastian Fellner, 4.12.2015)