Bild nicht mehr verfügbar.

Mit Stock, Charme und Melone kennen wir ihn: Vor exakt 100 Jahren, anno 1915 entwickelte Seismograf Charlie Chaplin den wunderbar sensiblen Typus des "Tramp".

Aufschlagseite, Koffer und Textheft des "Charlie Chaplin Archivs", fotografiert von Lukas Friesenbichler

"Die Weisheit des einen ist die Narrheit des anderen. Denn Weisheit ist der Auswuchs persönlicher Betrachtung, und meine Betrachtungsweise deckt sich nicht immer mit der anderer Menschen. Mein Ego bestimmt mein Leben mehr als jedweder moralische Kodex, und ich würde niemals etwas tun, das es beschämte, denn ich muss ja mit mir selbst leben." Gemeinhin meint man, eine Ikone wie Charlie Chaplin vorzustellen hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Statements wie jenes allerdings belehren uns eines Besseren.

Natürlich weiß man aufgrund seiner legendären Filme Modern Times, City Lights, Gold Rush oder Der große Diktator um die gesellschaftlich-sozialkritische und politische Komponente im Schaffen des grandiosen Slapstickgottes. Wie sehr Sir Charles Spencer Chaplin (1889-1977) auch Philosoph, Psychologe und Humanist war, ist eine Facette, die uns Paul Duncan vor Augen führt.

Entlang der Vita erzählt er die reich bebilderte Geschichte von Chaplins unermüdlichem Streben nach dem Schönen und Guten und davon, wie er es auf Zelluloid festhielt. Duncan sichtete Archive, zerlegte Requisitenverzeichnisse, Filmspulen, Produktionsunterlagen, Briefe, Szenenregister, jede gedrehte Sequenz, extrapolierte, suchte Querverbindungen, ordnete, sortierte und las Interviews, um Chaplins kreatives Genmaterial zu extrahieren. Ein schier unfassbares Unterfangen. Umso bemerkenswerter, dass es Duncan mit seinem in jeder Hinsicht großartigen Kompendium gelungen ist, sowohl dem Mythos als auch dem Menschen nahezukommen.

Abgesehen von der wunderbaren Tausendschaft phänomenal reproduzierter Fotos, Skizzen und Plakate wird die humanistische Antriebsfeder des genialen Filmemachers sichtbar. Das Buch in seiner Opulenz, Gestaltung, bedachtsamen Typografie und handwerklichen Sorgfalt ist außergewöhnlich, und entspricht des Protagonisten Streben nach Bestand und Schönheit. Das Opus magnum ist mehr als nur eine Hommage an ein Genie der Kinematografie, sondern selbst großes Kino. (Gregor Auenhammer, Album, 4.12.2015)