John Cummings sitzt auf einer Kirchenbank, er ist bereit für ein Interview, und das beginnt er, noch ehe man ihn etwas fragen kann, selbst mit einer Frage. "Warum könnt ihr nicht endlich hinwegkommen über die Sache?" Wie oft er das schon gehört habe, stöhnt er.

Meist klinge es genervt, an die Adresse schwarzer Amerikaner gerichtet, als ob man ein Klagelied nicht mehr hören könne. Als Erstes, sagt Cummings, müsste man klären, worum es sich bei "der Sache" eigentlich handelt. In allen Details, so schockierend sie sein mögen. Die Fakten der Sklaverei, der wuselige Anwalt aus New Orleans will sie so roh und brutal in Erinnerung rufen, wie sie nun einmal waren. Bloß nicht kratzen an der alten Wunde? Er sieht das anders.

Wallace, Louisiana. Die milchweiße Kirche, Lehmfiguren von Kindersklaven in den Gängen, hat Cummings aus einem Dorf namens Paulina über den Mississippi bringen lassen. Zerlegt in Einzelteile, wie Legobausteine. In der kleinen Holzkirche beginnen sie, die Touren über die Whitney Plantation, eine frühere Plantage, erst Indigo, dann Zuckerrohr, aus der Cummings ein Freilichtmuseum gemacht hat.

Es riecht nach feuchter, fruchtbarer Schwemmlanderde. Überall weiße Zäune, überall Bretterbuden, in einer der Hütten drehte Quentin Tarantino eine Szene des Films "Django Unchained". Unten am Fluss, durch einen hügelhohen Uferdamm vom Wasser getrennt, beschatten mächtige Eichen das cremefarbene Herrenhaus. "The Big House": Schaukelstühle auf der Veranda, ein Traum wie aus einer Tourismusbroschüre über den alten, beschaulichen Süden.

In Sichtweite der Villa will Cummings dunkle Tonköpfe auf Pfähle spießen lassen, in Erinnerung an die über hundert Sklaven, die sich 1811 gegen ihre Herren auflehnten. Die Rebellion an der "German Coast", deren Name zurückgeht auf die deutschen Einwanderer, die dem Landstrich am Mississippi ihren Stempel aufdrückten, endete mit blutiger Revanche. Die meisten Aufständischen, die mit Schrotflinten, Säbeln und Knüppeln nach New Orleans marschieren wollten, wurden standrechtlich erschossen, ihre Köpfe zur Abschreckung auf Holzstangen gesteckt. "So war es", sagt Cummings. "Und so muss man es zeigen. Auch wenn es manchen verstört."

Museumsgründung als Zufall

John Cummings ist 78, ein Jurist mit irischen Wurzeln, ungemein redegewandt und sehr erfolgreich in Schadenersatzprozessen, bei denen es in Amerika mit seinen bis zum Exzess betriebenen Sammelklagen schnell um Milliarden geht. Es ist nicht so, dass er ein halbes Leben lang an dem Plan gefeilt hätte, das erste Sklavereimuseum der USA zu gründen.

Wirklich das erste, denn es gibt kein anderes, das allein diesem Kapitel gewidmet wäre. Vielmehr war es ein spontaner Entschluss, basierend auf einer Laune des Zufalls. Der Mann hat schon immer gern Immobilien erworben von dem Geld, das er mit seiner Kanzlei verdiente. "Was immer mir Uncle Sam und der Barkeeper übrig ließen", scherzt er in Anspielung auf die Steuerbehörde und die legendäre, verklärte irische Schwäche für Guinness und Whisky.

Die Kirche auf der Whitney-Plantage, dem ersten Sklavereimuseum der USA.
Foto: Almuth Hermann

Als Ende der Neunziger die ehemalige Whitney-Plantage zum Verkauf stand, griff er zu. Ein Chemiefaserkonzern hatte auf dem Gelände, eine Autostunde flussaufwärts von New Orleans, eine Viskosefabrik bauen wollen, dann aber einen Rückzieher gemacht, weil die Nachfrage nach Viskose stark zurückging.

Mit dem verwilderten Areal erwarb Cummings eine Studie über dessen Geschichte, acht Bände, darin seitenfüllende Übersichten mit den Namen von Sklaven. Bei jedem Besitzerwechsel waren sie vollständig aufgelistet und bewertet worden, als handelte es sich um Inventar. "Lady, 30, Feldarbeiterin, fünf Kinder, alle zusammen 2650 Dollar." "Honoré, 30, genesen vom Leistenbruch." "Bernard, 50, Tobsuchtsanfälle." "Azor, 11, Hausdiener, 725 Dollar." Als er das gelesen hatte, konnte er nicht länger nur Passant sein, erzählt Cummings. "Ich wollte wissen, warum ich von alledem nichts gewusst hatte. Wieso stand das nicht auf dem Lehrplan in meiner Schule?"

Cummings' voller Bariton dröhnt durch die Kirche, jedes Wort ein Paukenschlag, als wäre dies ein Gerichtssaal, als müsste er gegen einen schludrigen Hersteller von irgendwas klagen. Die Antwort auf seine Fragen, sagt er, sei Hass. "Hass auf die Schwarzen, weil sie 1865 mit dem Ende des Bürgerkriegs frei waren. Deshalb das Schweigen."

Ibrahima Seck hat aus den Archiven, in Afrika und Amerika, im Senegal wie in Louisiana, zusammengesucht, was er über die Whitney Plantation finden konnte. Seck forschte an der Universität Dakar, ehe er, gesponsert von Cummings, nach New Orleans übersiedelte. Die Idealbesetzung für so ein Museum, denn erstens stammt das Gros der Sklaven Louisianas aus Westafrika, und zweitens war Louisiana bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine Kolonie Frankreichs, sodass man Französisch können muss wie Seck, um die alten Akten lesen zu können.

Vor einer Gedenktafel für die Sklaven, der aus dem Senegal stammende Historiker Ibrahima Seck, der die Chronik der Plantage neu geschrieben hat.
Foto: Almuth Hermann

Chronik der Unterdrückung

Kapitel um Kapitel hat der Historiker die Chronik der Plantage geschrieben, angefangen bei Ambroise Haydel, ursprünglich Heidel, 1721 aus der Nähe von Würzburg an den Mississippi gekommen, angeworben von der Compagnie d'Occident, die nicht nur in Frankreich, sondern auch in halb Mitteleuropa nach Siedlern suchte. Einer seiner Urenkel, Jean-Jacques Haydel, versteigerte 1840, da er Geld brauchte, sämtliche Sklaven.

Nach dem Bürgerkrieg wurde das Gut an einen gewissen Bradish Johnson verkauft, der es nach seinem Enkel Harry Whitney benannte. Was Cummings und Seck mehr interessiert: Wurde ein entlaufener Sklave gefangen, brannte man ihm das Lilienwappen Louisianas auf eine Schulter und schnitt ihm die Ohren ab. Ein zweiter Fluchtversuch zog ein Lilienbrandmal auch auf der anderen Schulter nach sich, außerdem wurde die Achillessehne durchtrennt. Ein dritter bedeutete den Tod.

John Cummings hat das Areal erworben und das Museum errichtet.
Foto: Almuth Hermann

Montgomery, Alabama, Commerce Street 122. Das backsteinrote Gebäude, in dem Bryan Stevensons Schreibtisch steht, war einmal ein Sklavendepot, präziser: ein Gefängnis, in dem die menschliche Ware eingesperrt wurde, bis man sie auf einem Platz an der Commerce Street versteigerte.

Stevenson hat seine Equal Justice Initiative (EJI), eine Organisation von Juristen, bewusst dort angesiedelt, als er nach dem Studium in Harvard in den Süden zog. Zufällig kam der erste Mandant, den er vor der Hinrichtung bewahrte, ein Gärtner namens Walter McMillian, eines Mordes für schuldig befunden, den er nicht begangen hatte, aus dem Ort Monroeville, der Harper Lee zu literarischem Weltruhm verhalf. Dort spielt ihr Roman "Wer die Nachtigall stört".

Über Mangel an Kundschaft kann er sich nicht beklagen, der Anwalt Stevenson. Selbst Anhänger des Ku-Klux-Klan, erzählt er mit ironischem Grinsen, hätten ihn schon eingeschaltet, als sie einen guten Rechtsbeistand brauchten. Ihn, den Urenkel von Sklaven.

Auf diesem Areal befindet sich auch ein Monument zur Erinnerung an all jene Afrikaner, die bei ihrer Verschleppung über den Atlantik gestorben sind.
Foto: Almuth Hermann

Was sich in seiner Familie an Dramen abgespielt haben muss, begann er an dem Tag zu erahnen, an dem ihn seine Großmutter bat, mit ihr über einen Acker zu einem Holzschuppen zu laufen. Irgendwo in Virginia. Beide im besten Sonntagsstaat. Als sie weinte, weinte auch er, ohne die Gründe zu kennen, einfach, um sie nicht alleinzulassen mit ihren Gefühlen. In dem Schuppen, erfuhr er, wurde sein Urgroßvater geboren. In der Schule, sagt Stevenson, habe er noch ein großes Geheimnis daraus gemacht, dass er von Sklaven abstamme. "Und heute rede ich die ganze Zeit darüber."

Sklaverei, doziert Stevenson, habe es auch anderswo gegeben, in Europa, Asien und Afrika. Doch erst in Amerika wurde daraus ein System, "erst wir haben das zu einem Dauerzustand gemacht, etwas, was auf die nächste Generation vererbt wird". "Und als wir die Sklavereigesellschaft zu Grabe trugen, haben wir uns gehütet, dem großen Übel auf den Grund zu gehen. Von Zwangsarbeit haben wir geredet, als ob das schon alles wäre."

Kein Ende per Gesetz

Im Übrigen sei die Sklaverei nicht wirklich passé gewesen mit dem 13. Zusatzartikel zur Verfassung, den Abraham Lincoln gegen hartnäckigen Widerstand im Kongress durchsetzte. Sie sei fortgeschrieben worden im Süden, mit anderen Mitteln, mit den Mitteln rassistischen Terrors. Nur dass die Terroristen brave Bürger waren, Banker, Lehrer, Ärzte. Ganze Gemeinden hätten sich nichts dabei gedacht, bei Lynchmorden zuzuschauen, "diesen Spektakeln öffentlichen Folterns von Schwarzen".

Stevenson redet sich in Fahrt: "Und dann haben wir Menschen mit dunkler Haut über Jahrzehnte erniedrigt: Ihr seid nicht gut genug für die High School, für die Uni, ihr seid gefährlich, weshalb Polizisten nun mal schneller die Waffe ziehen."

Stevenson hat nicht vergessen, dass er eines Morgens in einem leeren Gerichtssaal im Mittleren Westen saß, um sich auf einen Prozess vorzubereiten, angetan mit weißem Hemd, dunklem Sakko und Krawatte. Als der Richter einen Blick in den Saal warf und ihn erblickte, wies er ihn rüde zurecht: "Hey, warten Sie draußen, bis Ihre Anwälte erscheinen."

Der Irrtum klärte sich auf, beide lachten, auch Stevenson, obwohl ihm nicht danach zumute war. Mit den psychologischen Folgen der Sklaverei, will er mit seiner Episode illustrieren, müsse sich das Land erst noch auseinandersetzen. Am besten beginne man damit, indem man die ganze Geschichte erzähle, nicht nur die halbe.

Kaum Gedenken an die Opfer

Fünf Jahre hat die EJI zuletzt damit verbracht, 3959 Lynchmorde zu dokumentieren, begangen zwischen 1877 und 1950 in zwölf Südstaaten. Es gibt kaum eine Gedenktafel, die das ins Gedächtnis ruft. Stevenson will das ändern, eine steht schon bereit, demnächst soll sie in Brighton im Norden Alabamas aufgestellt werden.

Sie erinnert an William Miller, jenen schwarzen Mann, der sich für bessere Arbeitsbedingungen in den Kohlegruben einsetzte und unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet wurde. Im August 1908 holten ihn weiße Männer nachts aus seiner Gefängniszelle, um ihn im nächsten Wald zu töten. Stevenson will erreichen, dass in jedem Ort, in dem seine Tafeln aufgestellt werden, die lokale Polizeitruppe antritt, um sich zu entschuldigen. "Es wäre Aufgabe der Ordnungshüter gewesen, diese Menschen zu schützen."

Charleston, South Carolina. Bernard Powers empfängt in seinem Büro, zwischen halbmeterhohen Papierbergen, wie man es sich vorstellt bei einem Akademiker. Draußen Springbrunnen, historische Laternen, elegante Freitreppen – Schlossambiente. Das College of Charleston ist ein architektonisches Juwel, so wie die malerische Altstadt, in deren Mitte es liegt.

Historiker Bernard Powers aus Charleston kritisiert die mangelnde Bereitschaft zur Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels amerikanischer Geschichte.
Foto: Almuth Hermann

"Nun ja, die Fassade", sagt der Geschichtsprofessor Powers. Wer genauer hinschaue, werde hie und da Fingerabdrücke an den Ziegeln erkennen, "die Fingerabdrücke von Menschen, die aussahen wie ich". Doch das schöne Charleston halte es lieber mit der Devise, nur keine verstörenden Fragen zu stellen, nur nicht zu genau wissen zu wollen, was sich hinter den hübschen Fassaden verberge. Es könnte ja ein schlechtes Licht auf die einstigen Besitzer der Anwesen werfen.

Im 18. und 19. Jahrhundert war die Stadt eine Drehscheibe des transatlantischen Sklavenhandels. 40 Prozent aller Schiffe, die ihre menschliche Fracht von Afrika nach Nordamerika brachten, steuerten ihren Hafen an. Powers fasst in einem lakonischen Satz zusammen, was er in Charleston häufig hört zu dem Thema: "Es ist vorbei, lasst uns in Ruhe damit." (Frank Herrmann, 6.12.2015)