Begeistert waren sie beide nicht. Weder Sonja Wehsely noch Andreas Schieder mögen es, miteinander verglichen, in einen Topf geworfen, überhaupt in politische Verbindung gebracht zu werden. Denn Artikel, die Persönliches mit dem Politischen vermischen, haben aus Sicht der Beschriebenen etwas hochgradig Ungerechtes.
Politiker und Journalisten kennen einander oft lange, man weiß allerlei voneinander, auch Privates. Aber nur der Journalist hat es in der Hand, dieses Private auch öffentlich zu machen. Zähneknirschend haben Wehsely und Schieder dennoch zugesagt, Auskunft zu geben – unabhängig voneinander natürlich.
Die eingeforderte Trennung ist – aus journalistischer Sicht – freilich nicht so einfach: Die Stadträtin und der Parlamentarier sind nicht nur seit 22 Jahren ein skandalfreies Paar, sondern teilen mit der Wiener SP auch die politische Heimstätte.
Nun sind sie so weit gekommen, um – obwohl nicht mehr ganz taufrisch – als Zukunftshoffnungen der mit Personalreserven nicht üppig ausgestatteten SPÖ zu gelten. Dass sich die zwei dieses Status bewusst sind, ließen sie zuletzt spüren. Beide haben sich in der Flüchtlingsfrage profiliert: Schieder rieb sich an der Innenministerin, Wehsely gleich an der ganzen Bundesregierung – und allen, die in der SPÖ mit FPÖ-Positionen liebäugeln.
Es wäre unfair, dies als opportunistische Pose abzutun. Für die 45-jährige Wehsely ist korrekter Umgang mit Flüchtlingen ein Herzensanliegen, das auch mit ihrer Familiengeschichte zu tun hat. Die väterlichen Vorfahren waren Juden und Kommunisten; mit Müh und Not ist ein Teil der Familie den Nazis durch Flucht nach Großbritannien entkommen.
Normalität Antifaschismus
Von klein auf habe sie mitbekommen, was Antifaschismus bedeute, erzählt Wehsely. Geboren im zweiten Wiener Bezirk Leopoldstadt, habe sie erst als Teenager bemerkt, dass "viele Mitschüler nicht wussten, wovon ich rede" – und "dass die Täter-Familien Normalität in Österreich waren, nicht die Opfer-Familien".
Laut geht es zu im Hause Wehsely. Die Tochter liefert sich heiße Diskussionen mit den Eltern, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings aus der KPÖ ausgetreten waren. Das Mundwerk der "guten Schülerin" (Eigendefinition Wehsely) beeindruckt eine junge Mitarbeiterin des Vaters in der Arbeiterkammer: Die spätere Spitzenpolitikerin und Siemens-Managerin Brigitte Ederer lädt sie in die Sozialistische Jugend (SJ) ein. Der erste bleibende Eindruck von dort, erzählt Wehsely amüsiert, stammt von einem Event, das dem damaligen Organisator heute wohl etwas peinlich ist: die Anti-Papst-Demo eines gewissen Werner Faymann.
Im selben Verein, aber am Westende Wiens, hinterlässt ihr späterer Lebenspartner erste Spuren. Mit drei gigantischen Pfeilen übermalt der Penzinger SJ-Funktionär Andreas Schieder ein Hakenkreuz an einer Mauer im Wienfluss. Die Folgen sind eine Verhaftung "mit vorgehaltener Pistole" – und eine Schlagzeile im "Kurier": "Politikersohn als Schmierer ertappt".
Lange nervt es Schieder, auf seinen Vater Peter, einst prominenter SP-Politiker, reduziert zu werden. Sicher, Maiaufmarsch und Co bekommt er als "selbstverständliches Beiwerk" vererbt, doch das schließt Protest nicht aus – etwa in Demos gegen das Kraftwerk Hainburg, das der Papa als SP-Zentralsekretär verteidigt. Mit 15 Jahren, nach der Scheidung der Eltern, zieht der Sohn aus, wobei die Abnabelung Grenzen hat: Im Ikeasack bringt er dreckiges Geschirr in die väterliche Wohnung.
"So g'scheit war der Auszug nicht", resümiert Schieder heute nüchtern, zumal sich das Lotterleben in Ehrenrunden in der Schule niederschlägt. Auch sonst bemüht er sich nicht, die "politisch relativ belanglosen Achtzigerjahre" in revoluzzerisches Licht zu tauchen. Der von ihm mitorganisierte Schülerstreik von 1987 ärgert eine sozialistische Ministerin, doch die Forderungen ("niedrigere Klassenschülerhöchstzahl", "projektorientiertes Lernen") klingen schon damals so realpolitisch wie vom heutigen Klubchef formuliert. Die marxistischen Schulungen, erzählt ein SJ-Kollege, "waren eher nur mehr Folklore".
Sozialistische Spötteleien
"Die Sonja hat schließlich mehr Struktur in sein Leben gebracht", sagt Jugendfreund Jan Krainer, heute SP-Mandatar. Die zielstrebige Wehsely trinkt nicht, raucht nicht, braucht für ihr Jusstudium halb so lange wie Schieder für Volkswirtschaft. Was ihr in der SJ, wo es erst nach ein paar Jahren funkte, als Erstes an ihm auffiel? "Die langen Haare", sagt sie schmunzelnd, während der mit trockenem Schmäh ausgestattete Schieder kontert: "Ich dachte, ich rede mit dem STANDARD und nicht mit der 'Neuen Post'."
Spötteleien erntet das Duo seinerzeit selbst. "Wehsely, Schieder, Krainer – Sozialist ist von euch keiner", heißt es in der SJ. Schwer fällt es da nicht, im ritualhaft kritisierten Establishment nach oben zu klettern. Beide starten im Wiener Gemeinderat, Schieder wird Nationalratsmandatar, Finanzstaatssekretär und im Oktober 2013 schließlich Klubchef im Parlament. Wehsely sitzt seit 2004 in Wiens Stadtregierung.
Angelegt hat sie sich dort mit vielen – Gewerkschaft und Ärztekammer zählen dazu, das sind nicht die schwächsten Gegner. "Sonja Wehsely hat eine schnelle Auffassungsgabe, ist extrem fleißig und will Dinge verändern", sagt ihre Mentorin Ederer. So habe Wehsely als Gesundheitsstadträtin erkannt, dass es eine Spitalsreform zur Senkung der Kosten brauche, wolle man eine Privatisierung verhindern. Dabei lasse sie keinen Konflikt aus, sagt Ederer: "Mir ist das sympathisch, andere haben damit vielleicht Probleme. Sie sagt den Leuten knallhart ins Gesicht, was sie verlangt."
"Für 15 Jahre unfallfreies Kassieren erwirbt man noch keinen Anspruch auf ein Mandat", hat Wehsely einmal einem Funktionär auf den Kopf zugesagt. Der beschwerte sich höheren Orts umgehend über diese "Respektlosigkeit". Die Stadträtin meint, dass ihr dieses Etikett gerade deshalb ewig nachhängt, weil sie eine Frau ist. Als Mann würde sie wohl nicht als zu forsch und zu direkt bekannt sein, sondern als "zielstrebig, lösungsorientiert, leadershipfähig".
Ob gerecht oder nicht: Es liegt auch an diesem Ruf, dass Schieder in der SPÖ größere Aufstiegschancen nachgesagt werden. Gilt Wehsely als jederzeit ministrabel, so wird ihr Gefährte fast schon als Favorit für die Nachfolge Michael Häupls als Bürgermeister gehandelt – oder als Faymann-Ersatz. Dem auch außenpolitisch ambitionierten 46-Jährigen wird jener Spagat zwischen linken Akzenten und Pragmatismus zugetraut, an dem der aktuelle Parteichef in den Augen vieler Genossen scheitert.
Allerdings ist es ohne Regierungsmacht leichter, Fehler zu vermeiden; auf die Probe gestellt wurde Schieder bisher nur vereinzelt. Die Schuldenbremse lehnte er als Finanzstaatssekretär erst ab, um sie dann umso rascher durchzudrücken, als der Kanzler in Regierung und EU die Weichen stellte. "Er hat nicht Flagge gezeigt", zürnt die Ex-Mandatarin Sonja Ablinger, die mit ihrem Nein zum Fiskalpakt im SP-Klub überblieb.
Rumpelstilzchen hält nicht
Es sei sinnlos, sich ewig gegen das Unvermeidliche zu stemmen, sagen hingegen Verteidiger wie der Abgeordnete Christoph Matznetter: "Das Rumpelstilzchen hält seine Rolle nicht einmal im Märchen durch." Schieder erklärt sein Selbstverständnis so: Sich aus dem Spiel zu nehmen, nur weil man nicht alle Anliegen durchbringt, sei "zutiefst unpolitisch".
Eine Zeitbombe tickt jedoch auf dem Weg ganz nach oben. Bei der Notverstaatlichung der Hypo Alpe Adria saß Schieder als dem schwarzen Ressortchef weisungsgebundener Staatssekretär mit am Tisch. Der U-Ausschuss wird weisen, ob auch er als Milliardenverschleuderer im kollektiven Gedächtnis hängenbleibt.
Der Karriereverlauf hängt freilich auch davon ab, welche Seilschaft die SPÖ künftig dominiert. Beide gelten intern als Häupl-Protegés – und obendrein als Faymann-Kritiker. Wehsely macht kein Hehl aus einer gewissen Distanz: "Er ist ein ganz anderer Politikertyp als ich."
Und dann ist da noch die Familiensache, die sich von der Politik doch nicht so leicht trennen lässt. Eines sei für sie klar, sagt Wehsely: "Wenn zwei zusammen sind, können sie nicht zusammen in einer Regierung sitzen." (Gerald John, Petra Stuiber, 5.12.2015)