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Staatschef Erdogan fühlt sich vom Amtskollegen Putin beleidigt.

Foto: Reuters

Ankara/Athen – Vierzig Minuten Reden ohne Neuigkeiten sind auch für Diplomaten eine lange Zeit. "Wir haben nichts Neues gehört", sagte der russische Außenminister nach seinem Treffen mit dem türkischen Kollegen Mevlüt Çavusoglu am Rand des Ministerrats der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Belgrad.

Sergej Lawrow wollte eine Entschuldigung für den Abschuss des russischen Bombers im türkisch-syrischen Grenzgebiet vor zehn Tagen; Çavusoglu drückte lediglich sein Bedauern aus. Nicht einmal zu einem Handschlag für die Fotografen war Lawrow danach bereit. Die neue russische Kälte verunsichert die türkische Führung nun erheblich.

Feinde und Komplotteure

Der politische Horizont der Türken ist voll mit Feinden und gewieften Komplotteuren: westliche Imperialisten, zionistische Weltlobby, Terrororganisationen im Dutzendpack, die das Land von innen zu zerrütten versuchen. Doch die Russen wollte die konservativ-islamische Führung in Ankara nie in dieser Kategorie haben.

Die Unterstützung des Zarenreichs für die Armenier, die Feldzüge des Ersten Weltkriegs sind Geschichte; der Kalte Krieg und der Beitritt der Türkei zur Nato im Denken der frommen Rechten ohnehin nur ein Einfall der USA gewesen. "Wir haben nicht einmal das geringste negative Gefühl gegenüber dem russischen Volk", versicherte der türkische Premier nun. "Türken und Russen sind zwei große Völker, die die Geschichte Europas und Asiens geprägt haben."

"Prawda-Lügen"

Wladimir Putins Vorwürfe nannte er wiederum "Prawda-Lügen". Nichts sei wahr an der Behauptung des russischen Präsidenten, die Türkei mache Geschäfte mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) und kaufe deren Öl aus Syrien. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat sogar schnell seinen Rücktritt angeboten, sollte Putin seine Geschichte beweisen können.

Danach sieht es erst einmal nicht aus. Die mit der Türkei geschäftstreibende kurdische Regionalregierung im Irak ließ verlautbaren, die lange Kolonne der Tankwagen auf den Satellitenbildern der Russen gehörten ihnen und nicht etwa den Milizen des IS in Syrien.

Eigene Version der Geschcihte

Die türkische Regierungspresse ist rasch mit einer Gegengeschichte versorgt worden: Sie berichtete am Freitag von einem syrischen Geschäftsmann mit russischem Pass, der angeblich den Russen Öl vom IS verkauft.

Der Konflikt mit Russland ist innenpolitisch heikel für die türkische Regierung. Seit Jahren schon, so zeigen Umfragen, heißen die Türken die Syrienpolitik ihrer Regierung nicht gut; sie unterstützen weit lieber eine Außenpolitik der Nichteinmischung, die traditionelle Linie Ankaras, die jahrzehntelang galt.

Schaden in Milliardenhöhe

Über den möglichen Schaden durch die Wirtschaftssanktionen Russlands gegen die Türkei kursieren Zahlen zwischen fünf und 20 Milliarden Dollar im Jahr. Genaues weiß niemand, nur die Handelsstatistik kennt man: Russland führt – des Gases und Erdöls wegen – die Liste der Lieferanten an; und es liegt an siebter Stelle der türkischen Exportländer, hinter den USA und weit hinter Deutschland und dem Irak, den zwei wichtigsten Märkten der Türkei.

Die Regierung versucht nun, ihre Bürger zu beruhigen. Mehr Gas soll aus Katar und Aserbaidschan kommen. Die Turkstream-Pipeline der Gasprom galt ohnehin nie als rentabel, und für den Bau von AKWs gibt es genug andere Bewerber. (Markus Bernath, 5.12.2015)