Die kurzfristige Absage des Besuchs von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in Israel ist ein Verlust für beide Seiten. Israel braucht die Freundschaft mit Europa – wirtschaftlich, politisch und psychologisch. Für Österreich ist die Verbundenheit mit dem aus der Asche der Shoah entstandenen Staat ein moralisches Kernstück seines Selbstverständnisses. Und gerade beim Unternehmertum und in der Forschung, Mitterlehners Fachbereichen, kann Österreich viel von Israel lernen.

Der Besuch war allerdings nicht mehr zu retten, sobald der israelische Wissenschaftsminister Ofir Akunis darauf beharrte, Mitterlehner in seinem Ministerium in Ostjerusalem zu empfangen. Europäische Regierungsvertreter absolvieren dort keine offiziellen Termine, weil sie die israelische Annexion des 1967 eroberten Ostteils der Stadt nicht anerkennen. Und auf die Unterzeichnung der wissenschaftlichen Kooperationsabkommen ganz zu verzichten hätte den symbolischen Hauptzweck der Reise verfehlt.

Die Sensibilitäten sind auf beiden Seiten groß und müssten gegenseitig viel stärker berücksichtigt werden. Stattdessen trifft die EU mit ihrer – rechtlich vertretbaren, aber unnötigen – Kennzeichnungspflicht für Westbank-Produkte Israel an einer traumatischen Stelle, und Israels rechte Regierung verstärkt mit ideologischer Sturheit jene internationale Isolation, als deren Opfer sie sich dann sieht. Das stellt eine unverzichtbare Beziehung auf eine harte Probe. (Eric Frey, 4.12.2015)