Man kann sich auch zu Tode fürchten: Die Handelskette Spar verbannt Halal-Produkte aus den Kühlregalen ihrer Wiener Supermarkt-Filialen, wo sie testweise zum Verkauf angeboten worden waren. Zahlreiche "Kunden" hatten sich beschwert, angeblich, weil sie um den Tierschutz fürchteten. Wie Spar selbst bekanntgab, war man freilich schockiert über den fremdenfeindlichen Unterton, der bald die Postings beherrschte und zu einem "shitstorm" via Facebook und Twitter ausartete. Und was tut Spar? Der Handelsriese gibt dem Druck nach – und tut damit genau das, was die Rassisten und Extremisten innerhalb der Gesellschaft noch stärker macht.

Nur scheinbar weit hergeholt ist der Vergleich mit dem Fall Xavier Naidoo. Der deutsche Sänger mit reichlich bizarren rechten Ansichten war vom NDR als nächster deutscher Song-Contest-Teilnehmer nominiert worden – im Wissen, wie Naidoo zuletzt tickte und bei welchen politischen Veranstaltungen er auftrat. Dennoch: Die Art und Weise, wie in den sozialen Netzwerken auf ihn eingeprügelt wurde, war jenseitig. Und dass der Sender Naidoo dann prompt wieder abzog, empörte viele seiner Künstlerkollegen zu Recht. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn Unternehmen und Institutionen, die von ihrer Größe her eher an Elefanten erinnern, bei virtuellem Gegenwind sich plötzlich so mutlos wie kleine Feldmäuse gebärden?

Es ist hoch an der Zeit, von führenden Managern großer Unternehmen – genauso wie von Politikern und allen anderen Führungspersönlichkeiten – ein Mindestmaß an Zivilcourage einzufordern. Wer an der Spitze steht, ist aus vielerlei Gründen gut beraten, nicht beim geringsten Widerstand einzuknicken. Das weckt nämlich weder Vertrauen in die Leadership einer Person noch in die Produkte (oder die Sache), für die sie eintritt.

Das Internet ist (wie jedes andere Medium auch, nur viel breiter und wirkmächtiger) leicht zu missbrauchen. Wer die Spielregeln beherrscht, kann jede Art von Negativkampagne, Schleichwerbung, aber auch die übelste politische Demagogie und religiöse Verhetzung verbreiten – am besten über "Medienagenturen", die nichts anderes tun, als IP-Adressen zu verschleiern und für etwas oder gegen jemanden zu trommeln.

Es ist hoch an der Zeit, diesen Mechanismen durch demonstrative Unbeeindrucktheit die Stirn zu bieten und wirksame Strategien dagegen zu entwickeln.

Das betrifft nicht nur mehr oder weniger vorhersehbare, nur scheinbar spontane "shitstorms" – das trifft noch viel stärker auf Internetbotschaften mit dubiosem politischem oder religiösem Inhalt zu. Der deutsche Islamwissenschafter Thomas Volk beklagte jüngst im STANDARD-Interview, dass Menschen, die sich im Internet für den Islam interessieren, sehr bald auf islamistische Homepages geraten – anstatt auf Informationen über das heute in großer Mehrzahl gelebte, gemäßigte Religionsverständnis von Muslimen zu stoßen. Ein paar Mausklicks, und man ist schon bei der Verherrlichung des Jihad – statt bei seiner Verdammung (oder, was vielleicht sogar noch wirkungsvoller wäre, seiner Veräppelung).

Europas und Amerikas islamische Glaubensgemeinschaften sollten sich dringend zusammentun, um die virtuelle Lufthoheit über das Thema ihrer Religion zurückzuerlangen. Und Konzerne wie Facebook sollten ihnen dabei aktiv helfen, statt Demagogie im Netz unbekümmert laufen zu lassen. (Petra Stuiber, 4.12.2015)