Der Vormittag in der Demokratiewerkstatt behandelt für die Schüler der Neuen Mittelschule Staudingergasse ein höchst aktuelles Thema: Mit Cyber-Mobbing hatten sie vor kurzem ganz real zu tun.

Foto: Standard/Regine Hendrich

Wien – Der Eindruck dessen, was passiert ist, ist noch ganz frisch. Rund zwei Wochen bevor sich die Schüler der 3b aus der Neuen Mittelschule Staudingergasse in der Demokratiewerkstatt des Parlaments angesagt hatten, war genau das, was man an diesem Tag in der Theorie durchbesprechen wollte, innerhalb des Klassenverbands traurige Realität geworden.

Die Rede ist von Intoleranz, Hass und Ausgrenzung. Entwicklungen, die gerade auch online eher mehr denn weniger werden, berichtet Anne Brasseur an diesem Freitagmorgen im Gespräch mit den Jugendlichen. Die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist gekommen, um in einem der Workshops, die das Parlament regelmäßig für Schulklassen und junge Leute bis 14 Jahre abhält, konkrete Fragen zur "No Hate Speech"-Kampagne des Europarats zu beantworten.

Kein Raum, wo alles erlaubt ist

Nach kurzer Vorbereitung legt man also in Kleingruppen los: "Was kann man tun, wenn jemand im Internet gemobbt wird?", wollen die Schüler von der Politikerin wissen. "Auf jeden Fall darüber reden", empfiehlt Brasseur, "damit man nicht wirklich zum Opfer wird." Im Gespräch mit Freunden, Eltern, Lehrern solle man das, was vorgefallen ist, thematisieren und sich dessen bewusst sein, "dass das Internet kein Raum ist, wo alles erlaubt ist". Ob sie sich selbst schon einmal ausgegrenzt gefühlt haben, fragt Brasseur zurück. Da lächeln die Schüler, witzeln, schweigen.

Öffentlich am Pranger

Die Lehrerinnen berichten dem Standard Konkreteres. Erst vor kurzem habe die Mutter eines Mädchens ihre Tochter von der Schule abmelden wollen. Die Begründung: Beschimpfungen, die unter Cyber-Mobbing zusammengefasst werden können, hätten dem Kind so zugesetzt, dass es nicht mehr zum Unterricht kommen wolle. Najla M, die ebenfalls von den Attacken betroffen war, erzählt, was genau passiert war: "Ein Mädchen aus unserer Insta-gram-Gruppe hat mich und meine Freundin beschimpft. Sie hat geschrieben, dass wir nichts wert sind." Gesehen haben das all jene Klassenkollegen und auch Schüler anderer Klassen, die Teil der Instagram-Gruppe sind, auf der die Jugendlichen Fotos und Befindlichkeiten teilen.

Am Anfang der Auseinandersetzung stand ein Disput um einen Burschen, am Ende waren die Handy-Displays voll mit Schimpfwörtern, die hier nicht noch einmal gedruckt werden wollen. Das Ganze spitzte sich so zu, dass sich mittendrin sogar die Freundinnen, die beide öffentlich gedemütigt wurden, in die Haare gerieten. Der Rest der Gruppe machte nicht mit. Dagegengehalten hat aber auch niemand.

Rollenspiele für ein besseres Verständnis

Erst mit dem drohenden Schulaustritt geschah, was Präsidentin Brasseur für absolut notwendig hält: Es wurde darüber geredet. Mit den Lehrkräften, mit der Direktorin, mit den Eltern aller Betroffenen. Weil in der Schule in vielen Klassen Kinder aus acht bis neun verschiedenen Nationen sitzen, hat man längst einmal pro Woche das Fach "Soziales Lernen" etabliert. Hier machte man das Erlebte in Rollenspielen zum Thema, ein Vortragender sprach über "safer internet".

Die Lehrerinnen hoffen, dass jetzt alle in der Klasse verstanden haben, was so ein "hate speech" anrichten kann. Aber auch, wie dagegen aufzutreten ist. Dass nicht als schweigende Mehrheit hingenommen werden muss, was Einzelne anderen antun. Die Idee, wenigstens die Schule als handyfreie Zone zu etablieren, setze sich nicht durch, sagen die Pädagoginnen. Mitunter würden die Geräte den Schülern gerne zur Recherche zur Verfügung gestellt. Eines der Kinder habe innerhalb von vier Stunden Unterricht ganze 51 Mitteilungen angesammelt. Am Nachmittag geht das weiter.

Dass es wichtig ist, via elektronische Kommunikationsmittel bestimmte Regeln einzuhalten, ist jetzt übrigens auch dem Papst ein Anliegen. Er bekam vor kurzem den "No Hate Speech"-Ansteckbutton überreicht. (Karin Riss, 5.12.2015)