Bild nicht mehr verfügbar.

Ursula Gauthier bangt nach kritischen Berichten über Pekings Haltung zum Terrorismus und seine Xinjiang-Politik, ob sie das Land verlassen muss.

Foto: L'Obs via AP

In der Schlange der Journalisten, die sich im Pekinger Außenministerium ihre neuen bis Ende 2016 verlängerten Presseausweise abholten, stand auch Ursula Gauthier an. Seit Ende 2009 arbeitet die China-Korrespondentin für die Pariser Wochenzeitung "L’Obs", die bis vor kurzem noch "Le Nouvelle Observateur" hieß. Die Kollegen zogen mit ihrem Journalistenausweis ab, an den auch die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis in China gebunden ist. Nur die Französin ging am Abholttag 27. November leer aus. Nachfragen lösten Schulterzucken am Ausgabedesk aus: Ihre Pressekarte sei noch nicht fertig. Unter den angegebenen Telefonnummern für Nachfragen meldete sich niemand. Schließlich hörte sie eine Andeutung: Sie wüsste doch selbst warum.

Der Stein des Anstoßes war eine zehn Tage zuvor von Gauthier veröffentlichte meinungsstarke Nachrichtenanalyse zu Pekings Reaktionen auf die mörderischen Terror-Anschläge in Paris. Die Journalistin, die Chinesisch an der Universität Peking studierte, mutmaßte, dass hinter den amtlichen Solidaritätsbekundungen mehr Kalkül als Empathie stecke.

Umstrittene Xinjiang-Politik

Peking wollte sich so weltweite Zustimmung sichern für seine als Kampf gegen den internationalen Terrorismus propagierte, weithin umstrittene Minderheiten-Politik der harten Hand gegenüber aufrührerischen Uiguren in der Unruheprovinz Xinjiang. Doch deren blutige Terror-Taten würden viel stärker von hausgemachten Gründen motiviert als von ihrer angeblichen Zugehörigkeit zum internationalen islamistischen Terrorismus.

Viele Auslandsjournalisten haben das ähnlich kritisch wie Gauthier kommentiert. Doch sie formulierte ihren Vorwurf nicht nur polenmischer, sondern bezog auch Chinas Staats-und Parteichef Xi Jinping in ihre Kritik mit ein. Sie schrieb: Xi habe François Hollande versichert, dass er sich auf dessen Seite im Kampf gegen den Terrorismus stelle. Dann ruft sie aus: "Schöne Solidarität, aber nicht ohne Hintergedanken."

Angriffe, Unterstellungen und Drohungen

Schon zwei Tage später attackierte die patriotisch-populistische Massenzeitung "Global Times" Gauthier mit einem Leitartikel. Er unterstellte ihr doppelte Standards zu setzen, was Terrorismus ist, antichinesisch die Fakten zu verdrehen und Sympathie für den uigurischen Terror zu hegen. Das Blatt richtete seine Kritik persönlich und namentlich gegen sie und schob einen zweiten, noch schärferen Kommentar nach. "China Daily" und die englischsprachige Webseite der Volkszeitung verbreiteten Übersetzungen. Keiner der allgegenwärtigen Internet-Zensoren bremste den darauf ausbrechenden Online-Shitstorm. Namen, Fotos, Adresse von Gauthier wurden genannt, wüste Drohungen und Rufe nach Vergeltung ausgestoßen, groteske Verschwörungstheorien breitgetreten. Die Presseabteilung des Außenministeriums lud die Journalistin vor und versuchte vergeblich, sie zum Eingeständnis zu überreden, Unwahrheiten und Gerüchte verbreitet zu haben. Der Pekinger Klub der Auslandskorrespondenten FCCC warnte: "Kritisiert zu werden ist normal". Aber diese Art von Attacken "sind weder angemessen noch vernünftig."

Das konzertierte Mobbing einer Auslands-Korrespondentin wegen ihres in Frankreich veröffentlichten Artikel zu Xinjiang, wo Chinas Behörden freie Recherchen nicht erlauben, ist ein neuer Höhepunkt in der von Zensur und Kontrolle der immer mehr eingeengten chinesischen Medienlandschaft. Er schafft einen Präzedenzfall für die Berichterstattung über kontroverse und heikle Themen, bei denen Chinas Führung Druck auf Auslandsjournalisten ausüben will, sich etwa bei Fragen wie Tibet und den Dalai Lama oder dem Territorialstreit um das südchinesischen Meer zurückzuhalten.

Keine Rechtfertigung der Behörden notwendig

Reporter ohne Grenzen sprach im Fall Gauthier von einer "Einschüchterungskampagne." Zum bequemen Hebel, um die die gewünschte Anpassung zu erzielen, wird die unausgesprochene Drohung Pekings, den Presseausweis nicht mehr zu verlängern. Die Behörden brauchen sich für ihre Gründe nicht zu rechtfertigen. Doch erst mit neuer Pressekarte können die 493 in Peking akkreditierten Journalisten auch ihre Aufenthaltserlaubnis bei der Polizei um ein Jahr verlängern. Ein nicht verlängerter Presseausweis ist so eine defacto-Ausweisung. Das passierte in den vergangenen Jahren wiederholt, zuletzt US-Medien wie der "New York Times" oder "Bloomberg". Sie überschritten offenbar die Toleranzgrenze, als sie die Vermögensverhältnisse chinesischer Topführer enthüllten.

Hat auch Gauthier die rote Linie überschritten? Sprecherin Hua Chunying vom Pekinger Außenministerium beschuldigte sie, politisch voreingenommen zu sein, sprach von "lächerlichen Äußerungen". Doch auf die Frage, ob sie weiter akkreditiert wird, wich sie aus. Die jährliche Erneuerung der Ausweise "geht in ordentlicher Weise vor sich." Am Freitag wurde Gauthier erneut ins Außenministerium vorgeladen. Sie kam diesmal positiver gestimmt zurück. "Der Ton war anders." Ihre neue Pressekarte aber hat sie noch nicht. (Johnny Erling aus Peking, 7.12.2015)