Jedes Land hat seine Silvester-Rituale. Gibt es hierzulande Erdäpfelsalat, Karpfen oder Krapfen, so werden in Russland der reichlich Mayo-getränkte Oliviersalat, Weißbrotscheiben mit Lachskaviar und Fleisch- oder Fischsülze kredenzt. Wer etwas auf sich hält, trinkt Krim-Sekt dazu, wer sparen muss, spült das ganze mit "Sowjetskoje Schampanskoje" herunter.

Und auch beim Fernsehen gibt es nationale Geschmäcker: Während sich Deutsche und Österreicher seit Jahrzehnten zu Freddie Frintons "Dinner for one" auf die Schenkel klopfen, steht in Russland seit 40 Jahren der sowjetische Filmklassiker "Ironie des Schicksals" auf dem Programm. Mit dem Film gelang dem leider am 30. November verstorbenen Regisseur Eldar Rjasanow nicht nur eine geniale Persiflage auf das sowjetische Plattenbauprogramm – immerhin kann sich der Plot nur dadurch entwickeln, dass nicht nur die Häuser, sondern auch die Wohnungen der beiden Hauptfiguren in Moskau und Leningrad einander zum Verwechseln ähnlich sehen und selbst der Schlüssel passt –, sondern auch eine warmherzige Liebeskomödie.

Betrunken in der Sauna

Der Film beginnt in einer russischen Sauna (Banja) mit – wie könnte es anders sein – einem Besäufnis zu Neujahr. Der Protagonist, ein eigentlich eher schüchterner Chirurg, ist dabei so betrunken, dass er von seinen kaum weniger angeheiterten Freunden aufgrund einer Verwechslung besinnungslos ins Flugzeug gesetzt wird.

Ausschnitt aus "Ironie des Schicksals".
Seventeen Moments in Soviet History

Heutigen Sicherheitskontrollen zum Hohn schafft der Held es nicht nur problemlos stockbesoffen in den Flieger, sondern (mehr oder weniger) heil in einer anderen Stadt wieder heraus ins Taxi, wo er endlich erwacht und völlig ahnungslos dem Fahrer seine vermeintliche Adresse gibt, um im Bett einer Fremden aufzuwachen, die zwar anfangs alles andere als erfreut über den ungebetenen Besucher ist, schließlich aber dem Gesetz des Genres folgend dem Charme des Besuchers erliegt.

"Was für eine Abscheulichkeit!"

Mit seiner Mischung aus leichtem Witz und tiefer Melancholie wurde der Streifen sofort zu einem Riesenerfolg, zahlreiche Filmzitate zu geflügelten Worten. Noch heute kann jeder Russe den Satz des gekränkten Liebhabers Ippolit aufsagen: "Was für eine Abscheulichkeit! Was für eine Abscheulichkeit eure Fischsülze doch ist." Doch auch wenn die komischen Elemente dem Film zu seiner Popularität verhalfen, seine Zeitlosigkeit verdankt er seiner Konzeption als modernes Märchen, in dem die Hoffnung die Einsamkeit am Ende besiegt.

Denn Silvester ist das Fest der Hoffnung – der Hoffnung, alle Unbill im alten Jahr hinter sich zu lassen und ein glückliches neues Jahr zu verleben. Insofern wird der Film auch in 40 Jahren noch seinen Platz im russischen Silvesterprogramm sicher haben. Ironie des Schicksals, dass die 2007 gedrehte ungleich schlechtere Fortsetzung dann wohl längst in den Archiven verrottet. (André Ballin aus Moskau, 7.12.2015)